Vom rollenden Büro zur Liebeszelle

Kein Hotel kommt mehr ohne Design aus: Der Mailänder Ettore Sottsass macht in seinen Entwürfen das Reisen selbst zum Thema. Kein Ersatzheim schaffen, sondern Stützpunkte für Nomaden  ■ Von Hans Wolfgang Hoffmann

Das Bett von Rolf Benz. Das Kissen – eine einzige Schaumstoffrolle in Rot –, hinreißend. Die Ablagen zu beiden Seiten – schlichte Kirschholzplatten, faustdick. Darauf martialische Nachttischlampen, deren Namen kennt, wer von Zeit zu Zeit Design-Zeitschriften durchblättert. Der Fernseher von Bang-Olufsen, die Minibar darunter, ein Kühlschrank, kirschholzfurniert. An den Wänden Mondrian-Reproduktionen.

Zimmernummer, Hotelsignet und Klingel sind grafisch arrangiert: Die Edelstahlplakette neben der Zimmertür würde jeder Hauspforte zur Ehre gereichen: Alles ist farblich abgestimmt, die Akzente wohlgesetzt. Schade, daß wir so nicht zu Hause wohnen, denke ich, während ich die Augen schließe und die Bettwurst für den Kopf eher schmerzlich wird. Am nächsten Morgen hat das Design seine Schuldigkeit getan. Abreise.

Kein Hotel ohne Design. Kein Etablissement kann darauf verzichten, den Durchreisenden wenigstens mit seinem Ambiente vergessen zu lassen, daß sein Aufenthalt nur vorübergehend ist. Welches Ambiente, ist egal, solange der Geschmack des Kunden getroffen wird. Um auf der sicheren Seite zu liegen, wählt man die populären Klischees von Wohnlichkeit. Ob Fin de siècle oder Bauhaus, ob Country-Home oder Postmoderne, ob Philippe Starck oder Laura Ashley – immer ist das Design etwas Zusätzliches, das auch zusätzlich honoriert werden will.

Das von Johanne Nalbach gestaltete art'otel ermelerhaus etwa ist nicht nur ein Hotel, sondern zugleich eine Galerie mit Werken von Georg Baselitz. Die Bibliothek des Adlon ist nach Größe und Farbe in Antiquariaten zusammengekauft, Goethes Gesamtausgabe mehrfach vorhanden. Als Verkaufsargument reicht die perfekte Kulisse. Echte Bewohnbarkeit muß gar nicht entstehen. Denn ein Hotel, das liegt in der Natur der Sache, ist kein Ersatzheim.

Daß es auch anders geht, zeigen die Hotelzimmer, die im Rahmen des Workshops „Trend Hotel“ auf der diesjährigen Domotex in Hannover aufgebaut waren. Die Deutsche Messe AG hatte zwei Topdesigner gebeten, sich Gedanken über das Hotelzimmer der Zukunft zu machen. Das Mailänder Büro von Ettore Sottsass machte in seiner Antwort das Reisen selbst zum Thema, entwickelte Räume, die sich dazu bekennen, nur vorübergehend Aufenthalt zu gewähren.

Mit drei Kurzgeschichten versucht Sottsass, die Motive des Reisens zu fassen, um dann das Hotelzimmer nach den Bedürfnissen der unterschiedlichen Charaktere zu bauen. Fall eins: Das Zimmer eines Geschäftsmannes. „Es soll nie sein fernes Heim sein. Er weiß, woher er kommt und wohin er will. Er ist geschäftlich unterwegs und nicht zu seinem Vergnügen. Er braucht eher Komfort und Service als biedere Gemütlichkeit. Er braucht einen soliden Tisch, an dem er arbeiten und beim Frühstück seine Zeitung lesen kann, nicht einen dieser kleinen Café-Tische, die er normalerweise vorfindet. Ein Geschäftsmann braucht eine Büroausstattung im Kleinformat, mit allen modernen Geräten, Fax- und Kopiergerät, einen Drucker, an den er sein Laptop anschließen kann. Vielleicht möchte er in seinem Zimmer eine kleine Konferenz abhalten, natürlich wird er arbeiten, seine Familie zu Hause und sein Büro anrufen, schreiben und seine Unterlagen sortieren wollen.“ Folglich steht ein großer Tisch mit vier Stühlen gleichberechtigt im Raum mit einem nicht ganz so großen Bett. Moderne Kommunikationselektronik ist Standard. Alles, was an Privatheit erinnert, verschwindet hinter einer Bretterwand: Kleiderablage, Fernseher und Bad bilden entlang des Zimmers einen eigenen, zusammenhängenden Bereich, einen Rückzugsraum mit Fenster. Was man braucht, wird aufgeklappt, der Rest kann den Raum nicht verstellen. Muß man Besuch empfangen, schließt man schnell die Luken und hat eine repräsentative Kulisse fürs Geschäft.

Im „Couple in Holiday Room“ bestimmt die Liebe zwischen zwei Menschen die Zimmergestaltung: „Das Bett ist sehr groß und steht in der Mitte des Raumes, denn es ist die Bühne, das Zentrum wunderbarer Urlaubstage. Auch der Rest des Zimmers ist eingerichtet auf den Pendelverkehr zwischen Bett und Badewanne. Die Badewanne steht frei, direkt neben dem Bett. Jungverliebte lassen sich nicht von Nacktheit schrecken. Hygiene ist eher für sie eine Gelegenheit als eine Pflicht. Das Bad steht in der Tradition japanischer Bäder, in denen die Körperpflege eine Zeremonie ist, die nicht der Reinigung dient, sondern Freude und Entspannung spendet. Es ist Teil des Raumes, ohne Türen und Wände, so daß der eine Raum und mit ihm das Zusammengehörigkeitsgefühl seiner Bewohner erhalten bleibt.“

Noch radikaler gibt sich der „Nomadic Traveller Room“. „Er ist für ein modernes, junges Paar, das quer durch Europa reist. Den Frühling verbringen sie in Spanien, den Sommer in Norwegen. Alles ist offen, das nächste Reiseziel steht noch nicht fest. An der Wand hängen nicht die alten, holländischen Landschaftsbilder, sondern eine Weltkarte, die zu weiteren Reisen verführt. Der Fernseher ist pausenlos auf CNN gestellt, eine elektronische Tapete, kaum weniger langweilig als die echte. Das Paar verbringt seine Zeit lieber mit der Lektüre eines aufregenden Buches, als sein Hotelzimmer aufzuräumen.“

Eine simple Kleiderstange ersetzt den Schrank. Der Boden besteht aus Vinyl, vermittelt das Gefühl permanenten Dahingleitens. Tische und Stühle gibt es nicht. Auch das „Bad“ ist kein Ort für längere Aufenthalte. Hygiene erledigt man im Vorübergehen. Waschtisch, WC und Dusche statt Badewanne sind zu einer Möbelskulptur zusammengefaßt, um die man herumlaufen kann. Nach allen Seiten offen, steht sie – angesteckt von der inneren Unruhe ihrer Bewohner – schräg im Raum. Der einzige Ort zum Verweilen ist das Bett. Traumreisen in Reinform.