Der König singt

■ Lady Wonder und Mister King: Zum Beginn des Calypso-Festivals "Karibik!" im HdKW

Alljährlich beginnt mit der Karnevalsaison auf Trinidad auch die große Zeit der Calypso-Sänger. In den sogenannten Calypso-Zelten, die zu Beginn des Jahrhunderts tatsächlich noch Bambuszelte waren, aber heute größere Hallen mit Platz für mehrere tausend Zuhörer bezeichnen, treten die Calypso- Konkurrenten zum Wettstreit an. Hier erarbeiten sie sich singend ihren Ruf, und den besten Darbietern winken Preise und Ehrentitel: „König“ oder „Königin“ darf sich fortan nennen, wer von der Jury für würdig befunden wurde, und das Publikum kürt gleichfalls seine Favoriten.

Fünf namhafte Calypso-Interpreten haben als Gäste des „Festivals traditioneller Musik“ den Weg nach Berlin gefunden und bieten im Haus der Kulturen der Welt – außerhalb der eigentlichen Karnevalsaison – eine erlesene Calypso- Kostprobe. Ganz ohne Rivalität, denn die fünf repräsentieren recht unterschiedliche Spielarten des Genres: David Bereaux etwa ist ein Calypsonian alter Schule, der die frühe Form pflegt, während Lutal Makossa Masimba alias Brother Resistance den moderneren Rapso-Stil vertritt. „Lady Wonder“, die eine lange Familientradition fortführt, wurde 1996 zur Calypso-Königin gekrönt, Kurt Allen hingegen in diesem Jahr für den „besten politischen Kommentar“ ausgezeichnet. Mehr als bloß leichte Unterhaltung, war Calypso ursprünglich eine sozialkritische Ausdrucksform, bei der besonderer Wert auf die Qualität der Texte gelegt wurde.

Bis Reggae aufkam, war der Calypso die dominierende Musik im karibischen Raum, und einem jungen Mann namens Harry Belafonte gelang mit einer schlicht „Calypso“ betitelten Schallplatte ein weltweiter Erfolg – es war die erste Schallplatte überhaupt, die sich über eine Million Male verkaufte.

Aus der Synthese von afrikanischen und europäischen Einflüssen entstanden auf den einzelnen Inseln der Karibik eigenständige Musikkulturen, die ihrerseits bereits eine historische Entwicklung durchliefen. Weswegen es beim „Festival traditioneller Musik“ aus Trinidad eben Calypso zu hören gibt und nicht dessen kommerziellen Nachfolger Soca; aus Jamaika die Reggae-Vorform Mento und aus der Dominikanischen Republik anstatt des sattsam bekannten Merengue-Beats perkussive Trance-Zeremonien der afro-dominikanischen Bruderschaften, aufgeführt vom illustren All-Star- Ensemble „Islas Crusis“, dessen Mitglieder überwiegend von der zweitgrößten Karibikinsel stammen, zum Teil aber auch in New York leben.

Kuba, die größte Insel der Karibik, bleibt wohlweislich ausgespart, schließlich gab es bei den diesjährigen „Heimatklängen“ den ganzen Sommer über schon ausreichend Gelegenheit, in den Genuß kubanischer Klänge zu kommen. Dafür stehen mit Surinam und Venezuela zwei Länder auf dem Programm, die keine Inselstaaten sind und strenggenommen bereits zum südamerikanischen Kontinent zählen. Aber wer will da schon kleinlich sein? Das Bemerkenswerte an Venezuela ist, daß dort der indianische Einfluß noch am stärksten durchschlägt, während in der Musik der übrigen Karibik nur noch Spurenelemente von den einstigen Ureinwohnern künden – die Kürbisrassel Maracas etwa oder der Schraper guiro. Die Instrumente der venezuelanischen „Virtuosos de Caracas“, ebenfalls eine bunt zusammengewürfelte All-Star-Formation, verraten jedoch vor allem die spanisch-europäische Prägung: Gitarre, Querflöte und Kontrabaß sowie die Bandola, die von der maurischen Gitarre abstammt. Kürzlich wäre die Bandola fast wieder aus Südamerika nach Europa zurückgekehrt: Bei seinem letzten Berlin- Besuch ließ Ismael Querales, der die Bandola spielt, sein Instrument in einem BVG-Bus liegen. Wer weiß, vielleicht hätte sich sonst eine Berliner Bandola-Tradition entwickelt? Daniel Bax

Bis 16. Oktober, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles- Allee 10; heute, 15 Uhr: Familienkonzert; 20 Uhr: Karibbean Rage & 5 Calypsonians, Trinidad

Sonntag, 20 Uhr: „Islas Crusis“, Dominikanische Republik; weitere Termine können unter der Nummer 39 78 70 erfragt werden