Archäologen haben keine Röntgenaugen

■ Das historische Zentrum in Mitte und die Altstadt von Köpenick sollen zu Grabungsschutzgebieten erklärt werden. So soll verhindert werden, daß erst der Baubagger auf wichtige Funde stößt

In der Mitte Berlins boomt es über und unter der Erde. Oben lockt Bauland in zentraler Lage, darunter lagern zum Teil wichtige archäologische Funde. Von denen hat der Bauherr in der Regel keinen blassen Schimmer, Archäologen können sie aufgrund früherer Funde zumindest vermuten. Diese Konstellation führt zwangsläufig zu Problemen. Kompromisse zu finden ist dann besonders schwer, sagt die wissenschaftliche Direktorin des Archäologischen Landesamtes, Karin Wagner, wenn es sich um „herausragende Objekte“ handelt, die erst im Laufe der Bauarbeiten entdeckt werden. Zwar gebe es „relativ genaue Vermutungen, was wo liegt“, doch über die Dichte des Materials und dessen Beschaffenheit könne man vorher nichts wissen. „Wir haben keine Röntgenaugen“, so Wagner.

So mußten sich die Denkmalschützer beispielsweise bei den kürzlich entdeckten Resten des Münzkanals an der Friedrichswerderschen Kirche in Mitte damit zufriedengeben, den Kanal nicht an Ort und Stelle zu erhalten, sondern ihn lediglich in einem Modell 1:100 für die Nachwelt zu dokumentieren. Weil der Münzkanal in eine geplante Tiefgarage hineinragt, hätte die genehmigte Planung geändert werden müssen. „Das ist nicht mehr gelungen“, so Wagner.

Mit derlei Kompromissen ist vielleicht bald Schluß. Wagner hofft, daß noch in diesem Jahr das ehemalige historische Zentrum in Mitte – wie auch die Köpenicker Altstadt – von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) per Rechtsverordnung zum sogenannten Grabungsschutzgebiet erklärt wird. Das sind Gebiete, die sich aufgrund von Untersuchungen als besonders „fundträchtig“ erwiesen haben. Das hätte den Vorteil, daß mit den Ausgrabungen begonnen werden kann, bevor die Bagger sich in die Erde wühlen. Wagner verbindet mit dieser Rechtsverordnung auch die Hoffnung, daß dann mehr gegraben werden kann. Derzeit buddeln Archäologen an zehn verschiedenen Stellen. In den vergangenen zwei Jahren waren sie auf etwa sechzig Baustellen tätig. Sollte Mitte zum Grabungsschutzgebiet erklärt werden, rechnet Wagner „mit gewissen Diskussionen“.

Auf wenig Begeisterung stößt bei Investoren auch das Landesdenkmalpflegegesetz. Das verpflichtet sie nach dem Verursacherprinzip, die Kosten für die Bergung und Dokumentation von Funden zu tragen. In der Regel sind das drei bis vier Prozent der zukünftigen Investitionssumme. Die Erfahrungen von Karin Wagner mit Investoren sind positiv: „Wir hatten nie Probleme“, sagt sie, „daß sich ein Investor grundsätzlich sperrt.“ Bei Erweiterungen dagegen sei es dagegen „grundsätzlich schwierig“.

Trotzdem dürfte sich wohl kaum ein Investor freuen, ein Grundstück mit archäologisch wichtigen Funden erworben zu haben. Die Trigon-Gruppe kann ein Lied davon singen, was es heißt, auf wichtigen archäologischen Funden bauen zu wollen. Als im Oktober 1995 neben dem Köpenicker Rathaus – wo Trigon ein Wohn- und Geschäftshaus bauen wollte – Reste des wahrscheinlich ältesten Hauses Berlins gefunden wurden, bedeutete das nicht nur eine halbjährige Verzögerung der Bauarbeiten. Nach Trigon-Angaben kosteten die umfangreichen Grabungen auch etwa 100.000 Mark. Barbara Bollwahn