■ Israel und die Palästinenser reden wieder miteinander
: Erste Nagelprobe für Albright

Keine Frage, es war ein Tritt vors Schienbein, ein Wink mit dem Zaunpfahl: US-Unterhändler Dennis Ross ging in dieser Woche an die Öffentlichkeit und überschritt damit eine diplomatische Gepflogenheit. Israel habe sich sehr wohl auf ein Moratorium im Siedlungsbau eingelassen, erklärte er am Donnerstag in Washington. Und zwar in den Vorverhandlungen zu dem Treffen zwischen US-Außenministerin Madeleine Albright mit ihrem israelischen Kollegen David Levy und dem PLO-Unterhändler Abu Mazen, so Ross.

Damit steht das Wort von Dennis Ross gegen das von Benjamin Netanjahu. Der israelische Ministerpräsident hatte nämlich nach dem Treffen in New York barsch erklärt, ein Stopp des Siedlungsbaus sei grundsätzlich ausgeschlossen. Und das, obwohl er persönlich seinen Kabinettssekretär Danny Naveh in die Vorverhandlungen geschickt hatte.

Erste Konsequenz dieses „Mißverständnisses“: Vor der Wiederaufnahme der israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen in der kommenden Woche zeichnen sich wieder größere Spannungen zwischen der israelischen und der US-amerikanischen Regierung ab. Selbst US-Außenministerin Madeleine Albright schmollte, allerdings diplomatisch. „Wenig hilfreich“ – solauteten die Worte, die sie für Netanjahus Äußerungen fand.

Dabei hatte anfänglich alles auf einen ersten außenpolitischen Erfolg Albrights hingedeutet. Palästinenser und Israelis waren in New York übereingekommen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Netanjahus Worte machten diesen Erfolg fast zunichte. Vor allem aber verdeutlichten sie den tiefen Graben, der zwischen Arafat und dem israelischen Ministerpräsidenten liegt. Während Arafat den Oslo- Prozeß als „strategische Option“ betrachtet, zu der es keine Alternative gibt, sieht Netanjahu im Oslo-Abkommen einen „strategischen Fehler“, der, wo immer möglich, korrigiert werden sollte.

Dazu ist ihm offensichtlich jede Schlitzohrigkeit recht. Statt von Fortsetzung der Siedlungspolitik spricht Netanjahu jetzt vom „natürlichen Wachstum“ der Siedlungen. Dies schließt aber nicht einmal die Gründung neuer Siedlungen aus. Auf Har Homa, wo noch kein Haus steht, werde definitiv weitergebaut werden, erklärte der Ministerpräsident. Dabei liegt das natürliche Wachstum der israelischen Bevölkerung bei zwei Prozent, das der palästinensischen bei fünf.

Doch in der 30jährigen israelischen Besatzungszeit hat es nicht ein neues palästinensisches Dorf gegeben, wohl aber 145 israelische Siedlungen. Selbst in Ostjerusalem leben heute mehr Israelis als Palästinenser. Netanjahu ging es offensichtlich darum, die von Albright geforderte „Auszeit“ im Siedlungsbau, bei den Landenteignungen und Häuserzerstörungen von vornherein zu torpedieren. Ohnehin hatte die US-Regierung bereits größtes Entgegenkommen gezeigt und verkündet, daß die Bedeutung des Begriffs „Auszeit“ erst in den Verhandlungen definiert würde.

Netanjahu weiß, daß die USA — schon aus innenpolitischen Erwägungen heraus — Israel niemals zwingen werden, eingegangene Vereinbarungen auch einzuhalten. Albrights Fluchtweg ist bekannt: Die „harten Entscheidungen“ überläßt sie gegebenenfalls den „Führern der Region“. Und diese Entscheidungen fallen selten zugunsten des Schwächeren aus. Arafat kann sich trotz der sturen Haltung Netanjahus nicht einfach in den Schmollwinkel zurückziehen oder sich gar der Aufnahme der Verhandlungen verweigern. Sein politisches Überleben ist mit dem Erfolg oder Mißerfolg des Oslo-Prozesses aufs engste verbunden.

Aber er kann auch nicht viel mehr tun, als erst einmal abzuwarten, wie die Kontroverse um die „Auszeit“ in der Siedlungspolitik ausgeht. Er kann nur darauf setzen, daß die USA in stärkeren Widerspruch zu Israel geraten. Dabei helfen könnte ihm die Tatsache, daß laut Umfragen in den USA zwei Drittel der amerikanischen Juden für die Fortsetzung des Friedensprozesses und für Kompromisse mit den Palästinensern eintreten. Ganz sicher aber weiß Arafat, daß Netanjahu erst noch die Affäre um den gescheiterten Mordanschlag auf Hamas-Führer Khaled Mashal in Amman ausstehen muß.

Georg Baltissen