New Labour tanzt nach Blairs Pfeife

Die Debatten auf dem gestern beendeten Labour-Parteitag waren Spiegelfechterei. Das Zauberwort von New Labour – Modernisierung – blieb unscharf. Die Effekte bewegten sich am Rand der Peinlichkeit  ■ Aus Brighton Ralf Sotscheck

Tony Blair beherrsche sogar das Wetter, staunte ein Labour-Abgeordneter. Der britische Premier überstand den Parteitag im Seebad Brighton bei hochsommerlichen Temperaturen ohne Niederlage – zum dritten Mal. Dabei standen auch umstrittene Punkte auf der Tagesordnung, doch am Ende gewann Blair entweder die Abstimmungen, oder die Anträge wurden nach einem Deal hinter verschlossenen Türen zurückgezogen.

Die Debatten waren nur Spiegelfechterei. Der Parteitag kann lediglich über die Parteilinie, nicht jedoch über die Regierungspolitik entscheiden. Bereits im Vorfeld hatte Blair angekündigt, daß er sich nicht durch Parteitagsresolutionen vom Kurs abbringen lassen werde.

Den Kurs hatte Blair vorher festgelegt: Studiengebühren von tausend Pfund im Jahr, Erhöhung des Gesundheitsetats erst nächstes Jahr, keine Kürzung des Rüstungshaushalts, keine Anhebung der Renten und keine Verstaatlichung der von den Tories privatisierten Eisenbahn.

Bei den Trident-Atomraketen war es vorgestern knapp: 44 Prozent der Delegierten wollten die 1,5 Milliarden Pfund im Jahr dafür einsparen. Doch nachdem die betroffene Gewerkschaft erklärt hatte, die Rüstungsjobs hätten Vorrang, blieb alles beim alten. Das marode Gesundheitssystem muß daher ohne Finanzspritze über den Winter kommen. Routineoperationen sind bereits gestrichen. Nächste Woche will der Medizinerverband vorschlagen, daß Patienten für jeden Arzt- und Krankenhausbesuch, für Impfungen, Röntgenaufnahmen und Tabletten kräftig zahlen sollen.

Noch mehr hat die Parteilinke aufgehorcht, als Blair andeutete, den Wohlfahrtsstaat teilweise privatisieren zu wollen. Das hatten nicht mal die Tories gewagt, weil sie damit nicht durchgekommen wären. Doch Blair ist derzeit so populär, daß er wohl auch in diesem Punkt, der gegen sämtliche Prinzipien von „Old Labour“ verstößt, seinen Willen bekommen wird – ganz nach dem Zauberwort von „New Labour“: Modernisierung.

Es war der häufigste Begriff bei den Reden dieser Woche, ohne daß man allzu konkret wurde. Statt dessen setzte die Parteiführung auf Effekte, die manchmal in die Peinlichkeit abrutschten. So posierte Entwicklungshilfeministerin Clare Short am Strand von Brighton in Diana-Manier mit Helm und Schutzanzug neben einem Minenwarnschild, um für die Regierungsinitiative gegen Landminen zu werben. Innenminister Jack Straw hatte aus einer nordenglischen Sozialbausiedlung zwei Frauen einfliegen lassen, die von ihren Nachbarn terrorisiert werden. Damit wollte er sein neues Law-and-order-Gesetz illustrieren. Es sieht neben schärferen Strafen für Rassisten auch die Bestrafung „schlechter“ Nachbarn vor. Nach ihrem Auftritt saßen die drei im Café und tranken aus Tassen, auf denen das Labour-Wahlversprechen aufgedruckt war: „Tough on crime.“ Die Tasse war der Bestseller im Labour-Souvenirladen und bereits am zweiten Tag ausverkauft.

Dann schickte der Parteivorstand einen Elfjährigen auf die Bühne, der sich öffentlich freuen durfte, daß er in der Sommerschule lesen gelernt habe. Der Kampf gegen Analphabetentum und Rechenschwäche ist eins von Blairs Lieblingsprojekten. Nun soll sogar eine Soap Opera dafür eingespannt werden: Blair bat den Produzenten einer Familienserie, das Thema aufzugreifen.

Ganz reibungslos ging es aber doch nicht. Blairs engster Vertrauter Peter Mandelson, der am Dienstag bei der Vorstandswahl gescheitert war, erzürnte die Gewerkschaften, als er andeutete, der Mindestlohn solle nach Alter gestaffelt werden. Dabei hatte Blair einen Ausschuß eingesetzt, der das erst noch entscheiden soll. Und Sportminister Tony Banks sorgte für rote Kabinettsgesichter, als er sagte: „Die Tories haben sich einen Fötus zum Chef gewählt. Ich wette, eine Menge ihrer Abgeordneten wünschen jetzt, sie hätten damals nicht gegen Abtreibung gestimmt.“ Blair verdonnerte ihn dazu, sich zu entschuldigen. Doch ob Banks seinen Job behalten darf, ist ungewiß. Der Premier zieht eine Kabinettsumbildung im nächsten Monat in Betracht. Kommentar Seite 12