■ Ökokolumne
: Schweizer Asterix Von Albert Schmidt

Man schreibt das Jahr eintausendneunhundertsiebenundneunzig. Ganz Europa stöhnt unter einer täglich wachsenden Lkw- Lawine, deren 40-Tonner mit ihrem Lärm und Gestank den Menschen Schlaf und Gesundheit rauben.

Ganz Europa? Nein, in der Mitte des Kontinents wehrt sich ein tapferes Alpenvolk, wie weiland Kleinbonum gegen das Imperium Romanum, gegen eine übermächtige EU, die das 28-Tonnen-Limit der EidgenossInnen ebenso knacken will wie das Lkw-Nachtfahrverbot innerhalb der Schweizer Grenzen. Wie Asterix dem großen Julius Cäsar trotzen die eigensinnigen HelvetierInnen der drohenden Verdoppelung des Schwerlastverkehrs auf den Straßen. 1994 haben sie es geschafft, per Volksabstimmung zwei Ziele in ihre Verfassung zu schreiben, die nun die EU-Verkehrsminister aufmischen: Erstens muß der Lkw-Verkehr bis 2005 auf die Schiene verlagert und zweitens soll dies durch saftige Transitabgaben erreicht werden, die die internationalen Spediteure dazu bewegen, Leerfahrten zu vermeiden und ihren Gütertransport per umweltfreundlicher Bahntechnik zu entwickeln. Im Gegenzug ist das Bergvolk bereit, zwei neue Alpentransversalen zu bauen, die den Güterverkehr in vollem Umfang auf der Schiene bewältigen sollen: je einen Basistunnel durch den Gotthard und durch den Lötschberg/Simolon.

Obwohl als Wegelagerer und Beutelschneider beschimpft, sind die Schweizer in Wahrheit kühle Rechner. 560 Franken, also etwa 700 Mark, muß nach der Analyse der „Alpeninitiative“, der erfolgreichsten Bürgerinitiative Europas, eine Lkw-Fahrt von Grenze zu Grenze kosten, um ihre externen Wege- und Umweltkosten wenigstens annähernd zu bezahlen. Doch davon will Brüssel nichts wissen. Nach dem Motto: „Nieder mit den Alpen, freie Fahrt zum Mittelmeer“ will die EU die Lkw-Legionen ungebremst von Abgaben und Verboten durchdonnern lassen. Das Druckmittel, mit dem man die querköpfigen Bergökos gefügig machen will: Europaweite Start- und Landerechte für die Swiss Air soll es nur geben, wenn die EidgenossInnen auf ihre Lkw-Abgabepläne verzichten. So treten die bilateralen Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU derzeit auf der Stelle. Es besteht die Gefahr, daß das kleine Helvetia schließlich nachgibt, wenn, ja wenn es nicht massive politische Unterstützung von außen erfährt.

Und die ist überfällig. Denn der zunehmende Gütertransport auf der Straße ist keine Schweizer Erfindung. Er ist ein europäisches Problem, das holländische Trucks ebenso verursachen wie italienische. 1,1 Millionen Lkw haben allein 1996 die Schweiz durchquert, die wenigsten davon waren eidgenössische. Überdies sind Österreich, Südfrankreich und natürlich auch Deutschland ebenso gepeinigte Transitregionen, wo sich Mensch und Natur nach Entlastung sehnen.

Die wird nicht von frommen Willensbekundungen Wissmanns kommen oder von schönen Texten wie dem EU-Grünbuch „Faire und gerechte Transportpreise“ des Brüsseler Verkehrskommissars Neil Kinnock. Großflächige Reduzierung und Verlagerung des Straßentransits wird es nur geben durch eine knallharte Preispolitik, über eben jene kilometerbezogene Schwerverkehrsabgabe, die die Schweiz einführen will. Daraus folgt: Auch die EU-Mitgliedsstaaten, vor allem Deutschland, müssen schleunigst eine Abgabe für jeden Lkw einführen, die sich nicht an den Interessen des Transportgewerbes, sondern an ökologischen Folgekosten orientiert.

Die Schweizer Position ist keineswegs antieuropäisch. Im Gegenteil. Mit ihrer hoffentlich weiterhin unnachgiebigen Haltung in Sachen Transitabgabe ist Helvetia Vorreiter einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik. Was in den Alpen richtig ist, ist für das Rheinland oder die Pyrenäen nicht falsch. Solange der Schwerverkehr auf der Straße nur mit einer lächerlich niedrigen Euro-Jahresvignette „belastet“ ist, von deren Erhöhung kaum noch die Rede ist, wird kein Spediteur auf die Schiene gehen. Der Dauerstau auf den Autobahnen ist programmiert, nicht nur im besonders sensiblen Alpenraum.

Die EU-Staaten sollten daher vom Alpen-Asterix lernen. Die Schwerverkehrsabgabe ist ein Modell für ganz Europa. Damit die Güter von Rotterdam bis Genua auf die Schiene kommen.