„Das sind Buchhaltertricks“

■ Der bündnisgrüne Fraktionssprecher Joschka Fischer hält die Einigung über den Solidaritätszuschlag für einen der Tricks, mit dem die Koalition ihr Überleben sichern will. Keine Strukturreform sei erkennbar

taz: Nun hat sich die Koalition von CDU/CSU und FDP also darauf geeinigt, wie die Senkung des Solidaritätszuschlags gegenfinanziert werden soll: Durch Stundung der Tilgungen des Erblastentilgungsfonds und durch Grundstücksverkäufe. Sind Sie überrascht?

Joschka Fischer: Nein. Wir wußten, daß das eine der Varianten für den Abschlußhaushalt 1998 war. Diese Variante ist dafür jetzt weg.

Und was wird das für den Haushalt des kommenden Jahres bedeuten?

Abwarten. Wir kennen die Zahlen noch nicht.

Wie beurteilen Sie denn die Einigung inhaltlich?

Es ist einer der Tricks zum Überleben der Koalition. Mit Strukturreform hat das nichts zu tun. Faktisch handelt es sich hier um den Tatbestand der Konkursverschleppung. Der Solidaritätszuschlag wurde eingeführt, um genau diesen Erblastentilgungsfonds zu bedienen, in dem die Altschulden der DDR nun einmal drinstecken. Jetzt wird er gesenkt, damit die Koalition überleben kann. Das ist wirklich abenteuerlich. Jeder Unternehmer, der sich so verhalten würde, wäre ein Fall für den Staatsanwalt.

Nun spürt die Bevölkerung diese Form der Finanzierung ja nicht unmittelbar im eigenen Portemonnaie. Werden Sie Ihren Standpunkt im Wahlkampf denn vermitteln können?

Ich bin diese Form der Politik leid. Wir sind alle Kohl-Jünger geworden. Wir schauen nur noch darauf: Was merken die Leute, was merken sie nicht. Vor den Wahlen wird ihnen Honig ums Maul geschmiert, nach den Wahlen wird er ihnen mit der Stahlbürste vom Gesicht gekratzt. Dieses Land braucht Strukturreformen und keine Tricks zur Konkursverschleppung. Das wird noch ein böses Erwachen geben.

Ist der Zustand der öffentlichen Kassen nicht inzwischen so desolat, daß die Opposition im Falle eines Wahlsieges besser daran täte, die Wahl gar nicht erst anzunehmen?

Nein, aber auch deshalb ist jede Opposition gut beraten, nicht zu flunkern und es mit der Wahrheit ganz genau zu nehmen. Wir werden einen zweiten Erblastentilgungsfonds brauchen, und der wird den Namen Kohl tragen.

Was finden Sie eigentlich schlimmer: die Grundstücksverkäufe oder die Stundung der Tilgungen des Erblastentilgungsfonds?

Es sind beides Buchhaltertricks. Das hat dieselbe Qualität. Es ist die Entsolidarisierung mit dem Aufbau Ost und mit der kommenden Generation. Die Lasten werden immer größer. Interview: Bettina Gaus