Der Zickzackkurs zum Soli

Auf dem Weg zur Absenkung des Solidaritätszuschlags vollbrachten die Koalitionäre abenteuerliche Pirouetten. Eine Auswahl längst vergessener Zitate  ■ Aus Bonn Markus Franz

Endlich strahlen die Koalitionspolitiker mal wieder. Der Solidaritätszuschlag, kurz Soli, wird um zwei Prozentpunkte gesenkt. Und hatten Sie es nicht schon immer gewußt? Im September 1995 hatte FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms verkündet: „Wir wollen 1997 mit dem Abbau beginnen.“ Clever fügte CDU-Generalsekretär Peter Hintze hinzu: „Einen Zeitraum nennen wir aber nicht.“

Der vermeintliche Überraschungscoup stellt sich im nachhinein als Frucht präziser Planung und taktischer Ablenkungsmanöver heraus. Anläßlich der Jubelfeiern über die Solisenkungen wollen wir dies dukumentieren:

Selbst in dieser Woche noch spielten die Liberalen geschickt die Dummen. FDP-Parteichef Wolfgang Gerhardt forderte etwas Zeit bis zur Entscheidung: „Man muß uns doch zugestehen, daß man fünf, sechs Stunden über die eine oder andere Maßnahme nachdenken kann.“ Im Oktober 1995 hatte er noch markig angekündigt: „Der Solidaritätszuschlag wird ab Januar 1997 halbiert.“

Damals sprachen sich selbst Unionspolitiker mit offenem Visier für die Solisenkung aus. Fraktionschef Wolfgang Schäuble sagte Ende September 1995: „Der Solizuschlag muß so schnell wie möglich zurückgefahren werden.“ Selbst Bundesfinanzminister Theo Waigel meinte, er hoffe, daß der Soli 1997 gesenkt werde. „Aber auf jeden Fall in 1998.“ Etwa zwei Monate später korrigierte er den Kurs der Offenheit. Erst vom Jahr 2000 an könne auf die Einnahmen aus dem Solizuschlag verzichtet werden. Kanzler Kohl hatte schon vier Monate vorher den neuen Kurs bestimmt: „Der Solizuschlag ist noch mindestens bis zum Ende des Jahrzehnts notwendig.“

Pustekuchen, wie wir jetzt wissen. Die Koalitionspartner zogen geschickt ein Streitszenario auf, das fast völlig von ihrer Politik ablenkte. FDP-Fraktionschef Solms setzte im Dezember 1995 sogar seine Manneszier auf den Soli und opferte der Staatsräson zuliebe seine Glaubwürdigkeit. „Bei meinem Schnauzbart“, sagte er: 1997 komme der Einstieg in den Ausstieg: „Bis zum Jahr 2000 ist der Soli weg!“

Im Januar 1996 vereinbarte die Koalition tatsächlich die Senkung des Solis um einen Prozentpunkt zum 1. Januar 1997. Spitzbübischer Streit begleitete diese Einigung. Im Fraktionsvorstand der Union sprach man von Erpressung. Die FDP habe gedroht, dem Jahreswirtschaftsbericht nicht zuzustimmen, wenn der Solidarzuschlag nicht gesenkt würde. Solms seufzte: „Der Bart bleibt dran.“

Dann kommt es doch noch zur Bartlüge. Weil auf einmal angeblich drei Milliarden für den Haushalt 1997 fehlten, stimmte die FDP zu, die Solisenkung auf 1998 zu verschieben. Die Alternative wäre eine Mineralölsteuererhöhung gewesen. Bild am Sonntag titelte: „Die Betrüger von Bonn“. Später hieß es, die Koalition hätte kurz vor dem Bruch gestanden. Solms rasiert sich nicht.

Im Sommer 1997 neue Scheingefechte. Die Steuerreform ist gescheitert. Die Gegenfinanzierung für die Senkung des Solis geplatzt. Finanzminister Theo Waigel „hält nichts mehr davon“, den Soli zu senken. Auch die ostdeutschen CDU-Ministerpräsidenten sind dagegen.

Doch die Koalition muß halten. Der Soli wird gesenkt. Nur wie? Etwa durch Steuererhöhungen? Frage von „Tagesthemen“-Moderator Ulrich Wickert an Wolfgang Gerhardt: „Es wird also keine Steuererhöhung für die Gegenfinanzierung der Solisenkung geben?“ Antwort Gerhardt: „Nein.“ Frage Wickert: „Und was ist mit der Besteuerung der Lebensversicherungen?“ Antwort Gerhardt: „Das muß man sich genau überlegen.“ Also doch Steuererhöhungen? Oder nicht? Oder was? Als alle endgültig verwirrt waren, zerschlug die Koalition mit einem Streich den gordischen Knoten.