Freiheiten unter der Alditüte

■ Die Rückkehr des Wüterichs: Hans Kresnik verlegt Beethovens Freiheitsoper „Fidelio“in die Bremer Vulkanwerft

In seinem „Choreographischen Theater“hat Hans Kresnik immer wieder gesellschaftspolitische Themen der jüngsten Vergangenheit erarbeitet – hier sei nur an „Ulrike Meinhof“, „Pasolini“und „Wendewut“erinnert. Den Choreographen, der schon 1968 beschlossen hatte, keinen Tanzschritt mehr zu machen, für die Inszenierung von Ludwig van Beethovens „Fidelio“ins Theater am Goetheplatz einzuladen, war auf doppelte Weise riskant. Erstens ist diese Inszenierung Kresniks erste Opernregie nach zwei Jahrzehnten, und sein Bezug zur Musik war bisher eher deftig-plakativ. Zweitens war auch bekannt, daß Kresnik mit einem seit der Wende noch immer schärfer werdenden Haß auf diese Gesellschaft Beethovens im „Fidelio“zum Ausdruck kommenden Hoffnungen nicht würde teilen, ja noch nicht einmal als Utopien würde akzeptieren können. Schließlich ist da noch der Generalmusikdirektor Günter Neuhold, der mit provokativer Regie ohnehin Schwierigkeiten hat: Der Konflikt war programmiert, auch wenn die beiden Herren – pikanterweise beide Österreicher – ihn nach außen immer wieder relativierten.

So hatte der Applaus nach der Premiere am Freitag abend seine eigene deutliche Choreographie: Mit geradezu versteinertem Gesicht verbeugte sich Günter Neuhold, demonstrativ beklatscht von den Sängern und dem Publikum, dazwischen wuselte Hans Kresnik und schnappte sich demonstrativ die verblüffte Leonore (Rachael Tovey) zum Kuß. Mit dem roten Helm der Vulkanarbeiter in der Hand schien er geradezu auf seine moralische Integrität hinweisen zu wollen.

Es war schon vorher bekannt geworden: Die politischen Gefangenen aus Beethovens „Fidelio“sind die Arbeiter der Bremer Vulkanwerft, und mit den abgelegten Werftarbeiterklamotten, die Kresnik im Theaterfoyer auslegen ließ, zeigte der Regiewüterich, wer hier wen mit Füßen tritt. Nun war eigentlich nur noch spannend, ob sein Konzept auch auf der Bühne aufgeht. Allein es ging nicht auf. Der erste Akt durchaus ansprechend, aber zahm. Die Meinung, die Vulkanesen seien Gefangene ohne Hoffnung, muß man nicht teilen, sie ist allerdings glaubwürdig und nachvollziehbar, und es ist legitim, sie darzustellen. Der erste Chor, in dem den Gefangenen ein Gang im Hof gegönnt wird, nutzt Kresnik als Demonstration – einer schwachen allerdings, denn so, wie unsere OpernsängerInnen daherschleichen und die Gewerkschaftsfahnen in die Höhe strecken, bleibt von Kresniks Entrüstung bloß ein laues Lüftchen übrig.

Vollends Schiffbruch erleidet der Regisseur mit dem zweiten Akt. Denn Florestan ist hier kein politischer Häftling, sondern ein Gefangener des Alkohols. Zu „Gott, welch Dunkel hier“hat der Betrunkene Visionen von verschiedenen Frauen. Er trägt einen schwarzen Anzug, gehört also offensichtlich zu einer Oberschicht, und Pizarro ist ein stotternder Neider, der Zoff sucht. So wird aus dem Mordversuch im Libretto auf der Bühne eine lustige Schlägerei, in deren Verlauf sich die vier Beteiligten mit Bier bespritzen. Vor „o namenlose Freude“, einer der schönsten Paarutopien der Opernliteratur, wird Leonore mal kurz mit „Helga“angesprochen, die ihrem volltrunkenen Freund dann auch nicht in die Arme sinkt, sondern mal kurz schmerzhaft in die Eier zwickt. Wie schon die Einblendung der „Texte aus dem toten Trakt“von Ulrike Meinhof im ersten Akt geht auch diese Szene ins Leere, weil sie keine dramaturgischen Folgen hat.

Er wäre nicht Hans Kresnik, gäbe es nicht absolut starke Bilder: Zum Beispiel der Chor „Heil sei dem Tag“im zweiten Akt, durch den die mit Alditüten wedelnden ArbeiterInnen sagen: Freiheit, das ist Aldi-Konsum. Am Ende ziehen sie sich die Tüten über den Kopf, weil auch dieses kleine Glück am Ende ist. Oder das Schlußbild: Als Oratorium – alle sitzen auf der Bank und singen quasi rollenlos ihre Parts – vor dem Hintergrundprospekt der in Flammen aufgehenden Vulkan-Werft. Stark auch eine Szene im ersten Akt, als rund 150 lebensgroße Speere von oben auf die Bühne herunterrasen: In diesem Metallwald verstricken sich Rocco, Pizarro und Leonore bei Pizarros Mordplanung. Oder die Ausleuchtung des Quartettes im ersten Akt: Indem die SängerInnen nur mit Spots beleuchtet sind, gelingt Kresnik hier die Demonstration des letzten Restes ihrer Autonomie, aber auch die Darstellung ihrer individuellen Einsamkeit. Kräftige, in sich lebendige und aussagestarke Bilder, die aber keine Einbindung in eine Geschichte erfahren.

Gegen Interpretationen ist nichts einzuwenden, selbst wenn sie – die Kenntnisse vorausgesetzt – das Urbild ins Gegenteil verkehren. Aber Kresniks Wüten macht die Musik von Beethoven, der am Ende seines Lebens an diese Ideale auch nicht mehr geglaubt hat, lächerlich. Daß sie trotzdem nicht lächerlich wirkt, hat zwei Gründe: Einmal ist sie selbst zu stark („Nirgends brennen wir genauer“, meinte einst Ernst Bloch), und zum zweiten wird sie zu gut dargeboten. Bis auf einige Wackler in den Ensembles glänzend gespielt vom Philharmonischen Staatsorchester unter Günter Neuhold – wunderbare Tempi, transparenter Klang, sprechende Phrasierungen, ein durchgehend spannungsreicher Drive: Da blieben kaum Wünsche offen. Treffliche SängerInnen allesamt, ihr wilder Entschluß, die Musik gegen das Regiekonzept durchzusetzen, fruchtete. Ein Gewinn: Rachael Tovey als differenzierte und stimmstarke Leonore, Graham Sanders als Florestan, Armin Kolarczyk als belcantistischer Minister, Andreas Haller als stimmstark böser Pizarro, Kristen Strejc und Ralf Simon wirbelig als Marzelline und Jacquino und der unverwüstliche Karsten Küsters als ungemein präsenter Rocco. Mehr Kommentar hätten sie alle verdient: Musikalisch ist die Aufführung ein bewegendes Erlebnis. Ute Schalz-Laurenze

Aufführungen: 11. und 28. Oktober 19.30 Uhr, 19. und 26. Oktober 15.30 Uhr, Theater am Goetheplatz