"Der Mechanismus ist lebensfremd"

■ Die Ausländerbeauftragte des Senats, Barbara John (CDU), zur hinderlichen Vergabepraxis bei Rückkehrprojekten für Kriegsflüchtlinge: Das Geld muß dorthin, wo die Rückkehrwilligen sind. "Wohnungssituation

taz: Frau John, welche Erfahrungen haben Sie bislang mit den Rückkehrprojekten der Europäischen Union gemacht?

Barbara John: Der Mechanismus ist so lebensfremd. Zunächst muß eine Erklärung vorliegen, daß die Flüchtlinge freiwillig zurückkehren. Sie müssen nachweisen, wie stark ihre Häuser zerstört sind. Dann wird geprüft, ob Gelder bereitgestellt werden oder am Ort schon ein Programm existiert. Und dann heißt es: An dem Ort gibt es kein Programm, aber woanders. Aber genau dahin können die Leute nicht zurückgehen. Das Geld müßte dorthin gegeben werden, wo die Rückkehrwilligen sind. Das scheint nach den Vergabekriterien aber nicht möglich zu sein.

Warum ist es so schwierig, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen?

Das wäre lösbar. Für Flüchtlinge, die freiwillig zurückkehren wollen und sich in Gruppen zusammenschließen, sollte die EU einen Pool von Aufbaumitteln bewilligen. Es läuft aber so, daß die Mittel fast nur für den Wiederaufbau von Häusern ausgegeben werden, deren Eigentümer während des Krieges in Bosnien geblieben sind. Den humanitären Organisationen sind die Nöte dieser Menschen näher. Die Flüchtlinge in Europa gelten als versorgt.

Sie arbeiten auch mit Bärbel Bohleys Projekt „Ein Dach überm Kopf“ zusammen, das von der EU gefördert wird?

Wir schicken ihr Einzelanträge für die Reparatur von Häusern. Sie prüft, ob ihre Organisation in dem Ort tätig ist. Wenn nicht, fallen die Flüchtlinge wieder unten durch. Wenn sie dreimal eine solche Erfahrung machen, sind sie ermutigt. Sie sagen: Es hat alles keinen Sinn, wir melden uns, füllen zig Zettel aus und kommen doch nicht zum Erfolg. Entweder entwickeln sie dann Eigeninitiativem, oder sie resignieren.

Was erwarten Sie vom Regierungsbeauftragten Erwin Schlee, der für die Bundesländer die Rückkehrprojekte koordinieren soll?

Ich stelle mir die Zusammenarbeit so vor, daß wir dem Büro Schlee die Rückkehrwilligen melden. Sie können dann mit Rückkehrern aus der gleichen Gegend „verzahnt“ werden, die in anderen Bundesländern untergekommen sind. Das Büro des Regierungsbeauftragten könnte die Gelder für die Projekte vor Ort besorgen. Es sollte zugleich in die Infrastruktur des Ortes investiert werden, damit nicht der Eindruck entsteht, daß nur für die Rückkehrer etwas getan wird, sondern auch für die, die dort geblieben sind. Das baut Ressentiments ab.

Flüchtlinge kehren zunehmend in Gruppen zurück, so auch 143 Familien, die sich selbst organisiert haben.

Die derzeit größte Rückkehrergruppe sind gut qualifizierte Bosniaken aus der Srpska, die sich gerne in den Vorstädten von Sarajewo ansiedeln wollen. Sie wollen nicht mit der Rückkehr warten, bis das Problem Srpska gelöst ist. (Die Republika Srpska ist der mehrheitlich serbisch bewohnte Teil von Bosnien-Herzegowina; d.Red.) Sie haben sich selbst hervorragend organisiert und haben vor Ort bei mehreren Bezirksbürgermeistern angeklopft. Dort sind sie teils auf Verständnis, teils auf Unverständnis gestoßen. Bislang haben sie noch keinen ausreichenden Wohnraum finden können.

Dann steht die politische Frage im Raum: Sollen wir euch überhaupt aufnehmen? Das widerspricht doch dem Abkommen von Dayton. Einerseits will man die Rückkehrer aufnehmen, andererseits gibt es dafür kein grünes Licht von der politischen Führung in Bosnien. Ich habe Herrn Schlee gebeten, beim bosnischen Flüchtlingsminister eine grundsätzliche Zustimmung für die Ansiedlung der Gruppe einzuholen, damit die lokalen Bürgermeister kein politisches Donnerwetter fürchten müssen.

Wie hat sich diese Gruppe von Rückkehrern zusammengefunden?

Das ist von Eliten ausgegangen, von Ingenieuren und früheren Funktionären aus der Verwaltung. Ihre Initiative hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Es melden sich immer mehr Interessenten, und die Liste ist jetzt geschlossen worden, weil man den Leuten keine Versprechungen machen will.

Sie haben für ein Ausbildungsprojekt, das mit der Rückkehr der Jugendlichen verknüpft ist, zwei Millionen Mark von der EU erhalten. Wie viele Jugendliche haben sich bereits gemeldet?

Das Programm ist für 320 Jugendliche gedacht. Die Rekrutierung läuft gerade. Neun Ausbildungsträger, darunter die Berliner Wasserwerke, werden eine dreimonatige Qualifizierungsmaßnahme durchführen. Daran schließt sich eine sechsmonatige Ausbildung in Bosnien an. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen erwerben nicht nur Fertigkeiten, die vom Schweißerpaß bis zum Wasserbetriebsfacharbeiter reichen. Das Besondere ist, daß sie mit Jugendlichen, die während des Kriegs im Land geblieben sind, zusammenarbeiten. Ich verspreche mir davon, daß dadurch Animositäten und gegenseitige Vorurteile abgebaut werden. Das hat auch die EU überzeugt. Wenn es gut läuft, wollen sie das Programm fortsetzen. Manche Jugendliche fangen bereits im Oktober an, andere im November. Es gab aber auch Interessenten, die zwar an dem Programm teilnehmen wollten, aber noch nicht nach Bosnien zurückkehren wollen.

Manche wollen offenbar nicht ohne ihre Familien gehen, die noch nicht zurückkehren können oder wollen. Wie läßt sich das lösen?

Auch da ist der Sprung ins Ungewisse notwendig. Das ist immer noch besser, als ganz ohne Ausbildung zurückzukehren. Aus der Einbindung vor Ort ergibt sich eher die Möglichkeit, später Fuß zu fassen. Aber ich kann den jungen Leuten außer den regulären Rückkehrhilfen nichts mitgeben. Davon können sie drei, vier Monate leben.

Gibt es keine Ausbildungsvergütung?

Nein. Wenn die Gemeinden sie nicht unterstützen, müssen sie notfalls von humanitären Organisationen mitversorgt werden. Dann bekommen sie die üblichen Nahrungsmittelpakete.

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein? Von 34.000 Kriegsflüchtlingen sind bislang 6.000 zurückgekehrt. Wie viele werden es über den Winter sein?

Das ist der dritte Nachkriegswinter. Die Situation hat sich schon wesentlich gebessert. Heute gibt es sehr viel mehr Unterkünfte, die winterfest sind. Aber die Zahl der Rückkehrer wird im Winter abnehmen. Im Juni kehrten 1.300 zurück, im September werden es nur noch 400 sein.

Das größte Hindernis für eine Rückkehr sind inzwischen die fehlenden Arbeitsplätze. Welche Rolle könnte die deutsche Wirtschaft spielen?

Das Engagement der Wirtschaft ist wirklich wichtig. Das ist ein Signal, das ausstrahlt. Als erste und bislang einzige Berliner Firma baut Alba in vielen Gemeinden die Müllabfuhr mit auf und beschäftigt dabei auch drei Rückkehrer. Vor wenigen Tagen ist ein Büro der deutschen Wirtschaft in Sarajewo eröffnet worden. Ideal ist die Kombination, daß ein Berliner Betrieb Aufbauleistungen übernimmt, die international bezahlt werden, und dies mit der Rückkehr von Flüchtlingen verbunden ist. Interview: Dorothee Winden