■ Österreich: Der Bombenterror war offenbar Werk eines Einzeltäters
: Nur auf den Zufall ist Verlaß

Ach, wie schnurrten die Computer, die Rasterfahnder rasterten und die Lauschangreifer lauschten. Nix. Hunderte Ermittler des „Sonderkommandos Briefbomben“ machten teure Überstunden, vier Jahre lang. Höchst systematisch und höchst stümperhaft war die Polizeiarbeit. Und was stellte sich heraus? Das einzige, was in Österreich funktioniert, ist der Zufall.

Zufälligkeiten in mehrfacher Potenz führten zu einem gewissen Franz Fuchs, Enddreißiger ohne festen Beruf außer Steirer, und Sonderling, rechts, aber ohne deutliche rechtsradikale Verknüpfungen, vorläufig. Auf das Konto des zufällig aufgespürten Fuchs gehen sehr wahrscheinlich sämtliche seit Dezember 1993 verübten Anschläge mit Brief- oder Rohrbomben. Opfer insgesamt: vier tote Roma, mehrere Schwerverletzte, darunter zuletzt das „Bombenhirn“ selber. Es wurden ihm beide Hände weggerissen, als er – zufällig oder absichtlich – eine seiner Höllenmaschinen bei seiner Festnahme zündete.

„Es gibt Zeiten, in denen die Umstände wichtiger sind als die Ereignisse“ (Lernet-Holenia). In der Tat: Was ist nun an der Bombenserie bemerkenswert? Ist sie nun nichts als die Banalität einer blutigen Kriminalstory, wie sie stets und überall passieren kann? Das wohl nicht. Dicht umsteht das Ensemble der Umstände das punktuell isolierbare, anscheinend ziemlich „unpolitische“ Ereignis:

Nur wenige Stunden nach der zufälligen Entdeckung des Einzeltäters wählten ziemliche Massen in Oberösterreich einen gewissen Jörg Haider. Meinungsforscher meinen nun schon: Bei den nächsten allgemeinen Wahlen kommt Haider an die 30 Stimmprozente heran und wird zum unvermeidlichen Regierungspartner, wenn nicht zum Regierungschef.

Oh, wie wäre es doch schön gewesen, hätten herzlich bemühte linke Privatfahnder einen direkten Draht aufdecken können zwischen den Bomben und Haider, dem nichts mehr hätte schaden können als dieses. „Bombenserie im naziverseuchten Österreich.“ Ja, einen Schmarrn.

Mutmaßlich ist es nichts mit der hübschen linken Theorie, daß hinter den Bombenattentaten eine ganze rechtsradikale Geheimorganisation stehe, was sehr charakteristisch sei für das Klima in Österreich. Mutmaßlich ist es ebenso nichts mit der viel absurderen rechten Theorie, daß hinter den Attentaten eine ganz linksradikale Geheimorganisation stünde, eine Super-RAF, die den Rechten die Bomben in die Schuhe schieben wollte, um den Blick der Welt zu schärfen auf die hiesigen faschistoiden Zustände.

Die bombende „Bajuwarische Befreiungsarmee“ war vermutlich nur die ideologische Ausgeburt eines Einzeltäters, so ungefähr nach Art des Una-Bombers in den USA. Vorsichtigerweise haben zähe Anhänger der Theorie einer rechtsextremen Verschwörung noch nicht aufgegeben.

„Wie auch immer“, sagen in solchen Fällen postmoderne Beobachter und gehen zur Tagesordnung über. Die ist ohnehin reich bestückt. Auf ihr steht vorrangig nicht die altmodische nackte Gewalt, ob verknüpft oder nicht mit rechten oder linken Radikalismen. Ganz hoch oben steht vielmehr die postmoderne gewaltlose Gewalt des Brutalkapitals. Die wahrhaft bemerkenswerte rechte Gefahr ist nicht altertümlich rechts, sondern modernst kapitalistisch.

Ob wahnwitzige Einzelgänger bomben oder potente Organisationen, die Welt wird davon nicht erschüttert oder gar umgewälzt – das gilt in ganzer Breite von der östlichen Steiermark bis in den nahen und ferneren Orient.

Der gestörte Bombenbastler ist ein Niemand, verglichen mit der ungestörten Allgewalt des neoliberalen Globalkapitals. Insofern ist die Auflösung (die mutmaßliche) des kleinösterreichischen Bombenrätsels doch zu was gut für den fortschrittlichen europäischen Beobachter. Wäre nämlich statt des Einzeltäters eine reale rechtsradikale Organisation aufgeflogen, so hätte dies Anlaß gegeben, sich ablenken zu lassen von der wirklichen Wirklichkeit, mit der es die Linke zu tun hat und mit der sie nicht fertig wird.

Links sein, heißt der Realität ins Auge zu blicken und ihr gewachsen zu sein. Davon kann derzeit keine Rede sein. Kommt Zeit, kommt Rat. Geduld ist eine revolutionäre Tugend, sagte irgendwer, den wir vergessen haben. Er hat aber recht. Günter Nenning

Der Autor lebt als freier Publizist und Autor in Wien