Das Töten nimmt kein Ende

Trotz der Waffenruhe einiger islamistischer Gruppen überschatten Massaker weiterhin den Auftakt des Wahlkampfes zu den Kommunalwahlen in Algerien  ■ Von Reiner Wandler

Berlin (taz) – Algerien kommt trotz dem zu Monatsbeginn in Kraft getretenen einseitigen Waffenstillstand der Armee des Islamischen Heils (AIS) nicht zur Ruhe. Zwar hält sich der bewaffnete Arm der 1992 nach ihrem Wahlsieg verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS) überall im Lande an die Waffenruhe, nicht so die wesentlich radikaleren Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA).

Am Freitag wurde das Zentrum der Garnisonsstadt Blida, 40 Kilometer südlich von Algier, zwei Stunden lang mit selbstgebauten Granaten beschossen. Die 14 Geschosse töteten sechs Menschen, 50 weitere wurden verletzt. Bei verschiedenen Massakern in Medea, ebenfalls südlich von Algier und nahe der westalgerischen Stadt Oran, wurden mindestens 89 Menschen getötet.

Daß es den GIA ernst ist mit ihrer Drohung, alle Verräter an der wahren Linie zu richten, zeigt ein Vorfall vom Freitag nacht. Gegen ein Uhr versuchte eine Gruppe von als Feuerwehrleute und Polizisten verkleideter Männer, den historischen Führer der FIS, Abassi Madani, zu entführen. Nach Angaben des FIS-Sprechers in Belgien, Ahmed Zaui, versuchten sie die Tür der Wohnung in Belcourt, einem zentral gelegenen Stadtteil in Algier, einzutreten, als Madani sich weigerte, ihnen zu öffnen. Nachbarn hätten die Gruppe verscheucht.

Die neuen Überfälle und Anschläge überschatten den Wahlkampfauftakt für die Kommunal- und Departementswahlen am 23. Oktober. „Anstatt die Versammlungen zu besuchen, sieht sich die Bevölkerung gezwungen, auf die Friedhöfe zu gehen, um ihre Toten zu beerdigen“, beschreibt der Leitartikel der Tageszeitung Liberté die Situation im Land.

Mit einer großangelegten Militäroperation versucht die algerische Armee der GIA im sogenannten Todesdreieck zwischen Algier und den Atlasausläufern noch rechtzeitig vor dem Urnengang Herr zu werden. Dazu wurden am Wochenende erstmals – wenn auch nur einheimische – Journalisten und Fotografen als Beobachter zugelassen. Sie veröffentlichten Bilder aus der Nähe von Ouled Allel, einem Dorf zehn Kilometer außerhalb der Hauptstadt Algier, in dem sich GIA-Aktivisten verschanzt halten, seit sie vor drei Jahren die 8.000 Einwohner von dort vertrieben haben. Die Armee riegelte insgesamt zwölf Quadratkilometer ab, da befürchtet wurde, die bewaffneten Islamisten könnten über Fluchttunnel verfügen. Die Armee bombardierte den GIA-Stützpunkt aus der Luft. Sie kann auf dem Landweg nur langsam vorrücken, da das gesamte Gelände vermint ist.

Mit der Öffnung gegenüber der Presse will die Armeeführung das stark angekratze Image der Streitkräfte wieder aufpolieren. Den Soldaten war wiederholt Untätigkeit vorgeworfen worden, nachdem sie bei vielen der Massaker erst Stunden später in die betroffenen Dörfer einrückten.