Eine Leiche als Neujahrsgeschenk

Netanjahu betraute den Geheimdienst höchstpersönlich mit dem Mordanschlag auf einen Hamas-Führer. Opposition fordert Untersuchungsausschuß  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

Der gescheiterte Anschlag auf den Chef des Politbüros der Hamas in Amman, Khaled Mashal, droht, sich zu einem handfesten Skandal auszuwachsen. Das israelische Kabinett beriet gestern über die Folgen des Anschlags und die Krise in den Beziehungen zu Jordanien und Kanada. Die kanadische Regierung hatte in der vergangenen Woche ihren Botschafter aus Israel zurückbeordert, weil die Mossad-Agenten gefälschte kanadische Pässe benutzt hatten. Die oppositionelle Arbeitspartei forderte gestern eine Sondersitzung der Knesset und die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Für den früheren Partei- und Regierungschef Schimon Peres ist die Mossad-Operation „Blödsinn“. „Was ist wichtiger, der Frieden mit Jordanien oder diesen Mann zu töten?“ fragte er. Am Spätnachmittag wollte sich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit dem Vorsitzenden der Arbeitspartei, Ehud Barak, treffen.

Nach einem Bericht der israelischen Tageszeitung Yediot Achronot hat Netanjahu die Ermordung von Khaled Mashal persönlich angeordnet. Er habe den Kopf des Hamas-Führers als „Neujahrsgeschenk“ und als Rache für die beiden Selbstmordattentate in Jerusalem gefordert. Mossad-Chef Danny Yatom, so die Zeitung, habe von der Operation dringend abgeraten. Die Tageszeitung Haaretz schrieb: „In gut organisierten Demokratien treten Ministerpräsidenten nach einer solchen Pleite zurück.“ Ein früherer Mossad- Chef bestätigte gestern, daß bei Operationen mit tödlichem Auftrag der Ministerpräsident seine Zustimmung geben müsse. „Wie lange werden Minister noch unter einem Regierungschef dienen können, dessen Verantwortlichkeit und Urteilsfähigkeit die Menschen nicht mehr vertrauen können?“ fragte der politische Analytiker Chemi Shalev. Nach Angaben des israelischen Fernsehens wurde das Leben von Mashal nur gerettet, weil ein israelischer Arzt auf Drängen eines verärgerten König Husseins mit einem Anti-Serum nach Amman geschickt wurde.

König Hussein von Jordanien hat gestern bei der israelischen Regierung angefragt, ob der am Mittwoch freigelassene Hamas-Gründer, Scheich Ahmed Yassin, heute in den Gaza-Streifen zurückkehren kann. Laut einem Schreiben des israelischen Militärs ist Yassin nicht deportiert, sondern amnestiert. Yassin selbst erklärte am Samstag im israelischen Fernsehen, daß er zur Koexistenz mit Israel bereit sei, wenn die Rechte der Palästinenser gewahrt würden. Die jordanische Regierung erwartet nach eigenen Angaben in den nächsten Tagen die Freilassung weiterer führender Hamas-Mitglieder. Jordanische Zeitungen berichteten am Wochenende, an dem Giftmordanschlag auf Khaled Mashal seien insgesamt acht Mossad-Agenten beteiligt gewesen. Zwei seien festgenommen worden, drei hätten sich in die israelische Botschaft in Amman geflüchtet und seien an Israel übergeben worden, der Aufenthalt der drei anderen sei unbekannt. Als Reaktion auf das Attentat hat Hamas erstmals mit Gegenschlägen auf israelische Einrichtungen im Ausland gedroht. Der Skandal überschattet auch die Friedensverhandlungen, die heute wieder aufgenommen werden sollen. US-Unterhändler Dennis Ross kann den Mordanschlag kaum stillschweigend übergehen.