Realpolitisch unbewegbarer Arbeitsmarkt

■ Eine rot-grüne Stadtregierung wird in der Arbeitsmarktpolitik neue Akzente setzen müssen. Doch weder Sozialdemokraten noch Grün-Alternative sind darauf vorbereitet

Seit dem 21. September sind sich Politik und Bevölkerung in Hamburg endlich wieder einig: Arbeitslosigkeit ist das drängendste Problem. Auf den ersten Blick bietet die mögliche Ehe der traditionell gewerkschaftsnahen Elb-Grünen und der dank Ortwin Runde wieder stärker auf „ihre klassischen Themen“ausgerichteten SPD allerbeste Voraussetzungen, dieser Erkenntnis Taten folgen zu lassen.

Wer sich derzeit jedoch hinter den Kulissen der Verhandlungskommissionen von Roten und Grünen auf die Suche nach einer arbeits- und sozialpolitischen Initiative oder gar einem möglichen gemeinsamen „rot-grünen Reformprojekt“macht, wird enttäuscht. Statements gibt es nur hinter vorgehaltener Hand und mit der strikten Bitte um Vertraulichkeit. Die übereinstimmende Auskunft von roten und grünen VordenkerInnen: „Da wird sich in der Realität wenig bewegen können.“Einen der Gründe nennt der grüne Finanzexperte Willfried Maier: „Die Haushaltslage der Stadt bietet nur geringe Spielräume für Umschichtungen.“

Auch unter Ortwin Runde wird die SPD an ihrer traditionellen Mixtur von Standortpolitik (Runde: „Wir halten an unseren Großprojekten fest!“) und sozialarbeitermäßiger ABM-Politik (Runde: „Wir wollen die ABM-Mittel stärker zu den Jugendlichen umschichten.“) festhalten. Kurz: Runde wird keinen Pfennig der 800 Millionen Mark, die jährlich allein in die Subvention des Hamburger Hafens fließen, in eine aktive Arbeitsmarktpolitik umleiten. Und: Eine Reform der ABM-Politik wird es wie bisher nur in Teilbereichen geben.

Mindestens ebenso deprimierend die Lage bei den Grünen. Hier kämpfen gleich drei Strömungen gegeneinander. Chef-Denker Willfried Maier beispielsweise redet einer ehrenamtlichen Gemeinwesenarbeit das Wort. Soziale Dienste, die der Staat nicht mehr leisten kann, sollen ehrenamtlich und allenfalls gegen eine Anerkennungsgebühr verrichtet werden. Als zweiten Baustein seiner Beschäftigungspolitik setzt er auf einen Niedrig-Lohn-Sektor im öffentlichen Dienst, bei welchem arbeitende Sozialhilfeempfänger große Teile ihres Verdienstes behalten dürfen, aber nicht unbedingt auf Tariflohnhöhe klettern müssen. Auch wenn Maier diese Tätigkeiten „freiwillig“halten möchte, kann er die gedankliche Nähe zu entsprechenden Vorschlägen von Arbeitgeberchef Dietrich Hundt nicht leugnen. Maier weiß: „Mit diesen Überlegungen bin ich in meiner Partei nicht mehrheitsfähig.“

Schon eher mehrheits-, aber dadurch nicht unbedingt problemlösungsfähig ist der Gewerkschaftsflügel um Andreas Bachmann und Norbert Hackbusch: Arbeitszeitverkürzung mit weitgehendem Lohnausgleich, Beschäftigung statt Arbeitslosigkeit – aber dann auch mit Tariflohn lauten ihre gewerkschaftskompatiblen Forderungen. Problem nur: Um hiermit zum Erfolg zu kommen, müssen sich die Gewerkschaften in Tarifverhandlungen durchsetzen – dabei gelang es nicht einmal ÖTV-Chef Herbert Mai, seinen Wunsch nach Arbeitsumverteilung der eigenen Basis schmackhaft zu machen. Und: Für eine Ausweitung öffentlicher Beschäftigungsprogramme zu Tariflohnbedingungen braucht es Geld – viel Geld. Hackbusch und Co. wissen, daß in der Koalitionsvereinbarung hierfür allenfalls marginale Umschichtungen zu erreichen sind.

Bleibt die dritte GAL-Strömung: Fraktionsgeschäftsführer Alexander Porschke und Peter Schaar (neuer Parteisprecher) haben bereits vor Wochen ein „Aktionsprogramm für Arbeit und Umwelt“erarbeitet, das Grundlage eines grünen 10-Punkte-Programms zur Wahl werden sollte. Ein Vorhaben, das auch aus Zeitgründen scheiterte. Nicht weniger als 3.000 neue Arbeitsplätze pro Jahr soll das integrierte Programm für „die Bewältigung der Beschäftigungskrise, die Stärkung zukunftsfähiger Wirtschaftsstrukturen und einen ökologischen Strukturwandel“bringen.

Seine vier Bausteine sind eine Teilzeitoffensive in Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst, die Schaffung neuer Jobs durch eine aktive Klimaschutzpolitik (Energiewände plus Gebäudesanierung), die Stärkung der Arbeits- und Wirtschaftsstrukturen in den Stadtteilen sowie die Förderung des ökologischen Strukturwandels durch die Konzentration von Wirtschaftsförderungsmitteln auf zukunftsfähige Produkte und Dienstleistungen. Dieses in Teilen sicherlich noch überarbeitungsbedürftige Konzept könnte zwar Eckpfeiler der Politik eines rot-grünen Reformsenats sein. Allerdings wird es selbst in der GAL nicht einmal diskutiert.

Denn auch Willfried Maier weiß zwar, daß ein rot-grüner Senat an seiner Kompetenz in Sachen Arbeitsplätze gemessen werden wird. Doch ehrlich räumt er ein: „Hier viel zu bewegen wird schwer.“Der Sündenbock dafür ist längst gefunden. Immerhin darin sind sich GAL und SPD flügel- und strömungsübergreifend einig. Kohl ist schuld. Die SPD formuliert das so: „Ohne eine Wende zur Vernunft in Bonn werden wir auch in Hamburg weiterhin eine zu hohe Arbeitslosigkeit hinnehmen müssen.“

Florian Marten