Fluchtpunkte im Bilderstrom

■ Klimaverhärtung via Fernsehschirm: Thomas Lippick hat 16 Jahrgänge „Buten & Binnen“zu einer Videoinstallation montiert und kommt zu eindrucksvollen Schlüssen

„16 Jahre ,Buten & Binnen' – 16 Jahre ,Flucht in Bremen'“hieß es am Sonntag abend im Lichthaus. Innerhalb des „Fluchtzeiten“-Kunstprojekts wurde dort eine Videoinstallation eröffnet, für die der Bremer Künstler Thomas Lippick in wochenlanger Recherche die Archive von Radio Bremen durchgesehen hat. Entstanden ist eine subtil wirkende Collage aus „Buten & Binnen“-Beiträgen zur Asyl- und Fluchtthematik. „Ein enormer Aufwand, aus dem man unter anderem lernt, daß Kunst wirklich Arbeit ist“, wie „Buten & Binnen“-Chef Michael Geyer am Schluß seiner Eröffnungsrede anmerkte.

Als Resultat dieser Arbeit flimmern jetzt zehn Tage lang alle bisherigen „Buten & Binnen“-Jahre – komprimiert zu kurzen Endlosschlaufen – gleichzeitig über 16 Monitore. Auf Transportkisten hat Lippick die Monitore zu einem großen Kreis von überaus ästhetischer Raumwirkung angeordnet. Eine zumindest formal auf den ersten Blick schon stimmige Installation.

Was dagegen die inhaltliche Seite angeht, ist man zunächst irritiert von der Beliebigkeit, die der Künstler einem hier vorführt. Werderspiele, Eiswette, gefälschte Hitler-Tagebücher, Schiffstaufen und vieles mehr tauchen da gleichgewichtig neben der Berichterstattung über das eigentliche Thema auf. Doch wer sich über solch assoziative, scheinbar wahllose Verkettung von Alltagsereignissen wundert und sich vielleicht noch an der Unverständlichkeit und Kürze der O-Töne stört, ist auch schon von diesem Kunstwerk eingenommen. Denn genau dieses gleichmachende Rauschen der vermischten Themen bestimmt in hohem Ausmaß unseren Medienkonsum. Geschickt erzeugt Lippick mit seiner Installation das Gefühl, daß die Botschaft der Medien auch sonst vielleicht viel unwahrgenommener an einem vorbeirauscht, als man es wahrhaben möchte. Oder, wie eine Besucherin sagte: Man lernt hier, „wie leicht sich das Thema Flüchtlinge verflüchtigt“.

Unterstützt wird diese Wirkung noch von der Art der Montage. Denn statt sich in traditioneller Schnitttechnik nacheinander abzulösen, schieben sich die einzelnen Berichtsfetzen von links nach rechts aus dem Bild und erwecken so noch stärker den Eindruck eines die Wahrnehmung überfordernden Flusses. Daß Lippick ein solches Stilmittel zielsicher einzusetzen weiß, verdankt sich der Tatsache, daß er wie viele KünstlerkollgeInnen einen „Brotberuf“ausübt: Als professioneller Kameramann und Cutter. Also ein im täglichen Leben „fremdbestimmter Fernsehmann, dessen Inhalte für gewöhnlich von Redaktion und Disposition diktiert werden, und der hier als eigenständiger Künstler das Medium, in das er sonst eingebunden ist, reflektiert hat“, so Michael Geyer.

Bei näherem Hinsehen läßt sich in diesem „Besinnungsangebot“(Geyer) mehr Dramaturgie erkennen als auf den ersten Blick. Unter der Oberfläche transportieren die Alltagsgeschichten nämlich sehr subtil die zunehmende Verhärtung der Diskussion um Einwanderer und Asylsuchende zwischen 1981 bis heute. Um diesen schleichenden Prozeß nachzuvollziehen, verlangt die Installation einem mehr als einen flüchtigen Blick ab.

Moritz Wecker

Thomas Lippick, „16 Jahre ,Buten & Binnen'...“im Lichthaus, bis 16. Oktober; Di., Mi., Do. und So. 12-16 Uhr. Sonntag, 12. Oktober, ist Lippick anwesend