Zwischen allen Stühlen

■ betr.: „Duldung für Vietname sen“, Kommentar von Barbara John, taz vom 27.9. 97

[...] Wäre es beruhigender gewesen, wenn die Berliner Ausländerbehörde den jahrelangen und tausendfachen Rechtsbruch gegenüber bestimmten Ausländergruppen hätte fortsetzen können? Wenn Frau John bereits vor dem Urteil klar gewesen sein sollte, „was das Ausländergesetz vorsieht“, warum hat sie dann als Ausländerbeauftragte gegen diese Praxis nie öffentlich Stellung bezogen?

Warum verschweigt Frau John, daß die allermeisten Ausreisepflichtigen in der Bundesrepublik auf diese Urteile des Bundesverwaltungsgerichts gar nicht angewiesen waren, weil sie in Brandenburg, Sachsen oder einem der anderen Bundesländer leben, wo ihnen die Ausländerbehörde seit Jahren anstandslos und zum Teil sogar unaufgefordert Duldungen erteilt, statt sie unter Verstoß gegen § 55 II AuslG zu kriminalisieren und letztlich in einem rechtlichen Niemandsland auszusetzen?

Weiß Frau John nicht, daß vor geraumer Zeit der VGH Baden- Württemberg, das OVG Hamburg und das OVG Lüneburg sowie etliche Verwaltungsgerichte genauso entschieden haben wie jetzt das Bundesverwaltungsgericht, oder fand sie diese Urteile nicht „beunruhigend“, weil sie nicht Berlin betrafen?

Warum sagt Frau John nicht, daß Ausländer wie die Kläger in diesem Verfahren auch ohne Duldung bereits stark reduzierte Ansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz hatten und daß sie nun mit der Duldung keinen Pfennig mehr erhalten? Warum droht sie statt dessen, um es im Klartext zu sagen, mit der Alternative „Verhungern oder Ausreise“ und begründet dies auch noch mit der Sorge um die Perspektivlosigkeit der Betroffenen?

Ich hatte bis jetzt großen Respekt vor Frau John. Aus der Fankurve ziehe ich mich hiermit zurück. Ich bin aber sicher, diese Lücke wird nun durch etliche andere gefüllt, in deren Gesellschaft ich mich ohnehin nicht mehr wohlgefühlt hätte. Dieter Kierzynowski, Berlin

In der ersten Ausgabe der taz mit Kommentar auf der ersten Seite ausgerechnet mit der Berliner Ausländerbeauftragten einer Vertreterin der im Streit um das Duldungsrecht unterlegenen Partei Raum für ihre Position zu geben sollte nicht richtungweisend für die neue taz werden.

Hat nun, was immer seltener wird, ein Gericht für die Rechte einer nur geduldeten Gruppe entschieden, scheint es mir unangemessen, nur die damit aus Sicht der Kommentatorin beunruhigende politische Botschaft herauszustellen. Wie sie selber bemerkt, sind viele dieser Menschen in ihren Heimatländern nicht erwünscht und sitzen zwischen allen Stühlen. Ohne ausländerrechtliche Duldung können zum Beispiel Kinder mancherorts keine Schule besuchen, und der illegale Aufenthalt der Erwachsenen scheint mir diese eher in die Kriminalität zu treiben. Auch die Zahl der ausländischen Arbeitslosen erscheint mir in diesem Zusammenhang eher als polemisches Argument, um die eigene ausgrenzende Position zu untermauern, denn als nach vorne gerichtete Möglichkeit zum Eindämmen (rechts)radikaler Positionen, weiß doch jede/r mit der Entwicklung vertraute, daß die hohe Zahl von arbeitslosen AusländerInnen bereits Folge ihrer Diskriminierung ist und nicht Ursache.

Das Thema Integration und Migration scheint mir so bereits bisher politisch von den Parteien der Mitte falsch gesteuert, und diese Gerichtsentscheidung zu kritisieren ist eher Bestätigung radikaler Positionen.

An dem Urteil positiv scheint mir zu sein, daß das Gericht nun der gesetzlichen Regelung auch – was ja eigentlich für eine Verwaltung selbstverständliche Handlungsgrundlage sein sollte – zur Gültigkeit verholfen hat und das betroffene AusländerInnen nun noch für einige Zeit hier Perspektiven entwickeln können, die ihnen in ihrer meist ohnehin schwierigen Situation nützen könnten. Rolf Scheyer, Berg. Gladbach

[...] Trotz ihres Amtes als Ausländerbeauftragte hat Frau John immer noch nicht mitbekommen, wie stark die „Ausländer raus“-Parolen Eingang in die mitentscheidenden „Bäuche“ von Behördenzuständigen und Richtern genommen haben. Immer wieder erlebe ich es in meiner täglichen Praxis, daß meinen Mandantinnen und Mandanten von dem, was sie an unvorstellbaren Härten vortragen, nichts geglaubt wird. Die Entscheidungen setzen sich oft weitgehend aus Textblöcken zusammen und verzichten auf eine Auseinandersetzung mit dem persönlichen Schicksal der betroffenen Personen. So würde es auch mit der von Frau John geforderten Prüfung der freiwiliigen Ausreisemöglichkeit geschehen. Aller Voraussicht nach wird sie stets zu bejahen sein, weil es ohnehin schon zu viele unerwünschte Fremde in Deutschland gibt.

Anstatt den Migrantinnen und Migranten durch Erteilung einer ordentlichen Aufenthaltsgenehmigung die Integration zu ermöglichen – was gemäß § 30 Ausländergesetz rechtlich ohne weiteres möglich, politisch aber nicht erwünscht ist –, sollen die betroffenen Menschen nach dem Wunsch der Berliner Ausländerbeauftragten durch das Mittel der Aushungerung zum Verlassen des Bundesgebiets genötigt werden.

Da die nach § 55 Ausländergesetz geduldeten Migrantinnen und Migranten in aller Regel definitiv keine Möglichkeit der Rückkehr in ihre Heimat haben, ist die von Frau John vorgeschlagene Methode ihrer Entfernung aus dem Bundesgebiet zum Scheitern verurteilt. Die von ihr vorgeschlagene Gesetzesverschärfung hätte ein Ansteigen der Zahl der in die Illegalität abgedrängten Betroffenen zur Folge, mit den bekannten Konsequenzen für die „innere Sicherheit“.

Es bleibt abzuwarten, wie diese Politik der starken mächtigen BRD contra Flüchtlinge und andere Migrantinnen bzw. deren Herkunftsländer uns eines Tages selbst treffen wird. Florentine Heiber,

Rechtsanwältin, Remscheid