Regierung will Bioethik schnell und leise absegnen

■ Obwohl sich Deutschland im Europarat enthalten hat, drängen Minister auf Zustimmung im Kabinett. Ärzte und Sozialverbände gegen den Vertrag, der Versuche mit Behinderten erlaubt

Frankfurt/Main (taz) – Wenige Tage vor dem Gipfel der Regierungschefs der Europaratsstaaten herrscht in Bonn hektische Betriebsamkeit. Urplötzlich steht auf der heutigen Tagesordnung der CDU/CSU-Fraktion eine Frage, die rund eine Million Menschen vor Jahresfrist längst öffentlich mit „Nein“ beantwortet hatten – die Frage nämlich, ob die Bundesregierung dem „Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin“ zustimmen soll. Besser bekannt ist das Papier unter seinem ursprünglichen Titel „Bioethik-Konvention“.

Stimmen die Abgeordneten für die Zeichnung der Konvention, wofür insbesondere Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP), aber auch die Minister Jürgen Rüttgers (Forschung, CDU) und Horst Seehofer (Gesundheit, CSU) werben, könnte der entsprechende Kabinettsbeschluß bereits morgen folgen.

Warum die Ministerrunde es so eilig hat und Druck für eine Unterzeichnung ausübt, ist inhaltlich nicht begründbar. Denn am Konventionstext hat sich nichts geändert, seitdem er im November 1996 vom Ministerkomitee des Europarats bei Enthaltung der Bundesregierung gebilligt worden war. Das Vertragswerk unterläuft nach wie vor deutsche Rechtsstandards. Es erlaubt Versuche ohne therapeutischen Nutzen an „Nichteinwilligungsfähigen“, also an Kindern, geistig behinderten, bewußtlosen und dementen Menschen. Ebenso verboten sind hierzulande die im Übereinkommen vorgesehenen Experimente und Gentests an Embryonen, die durch Befruchtung im Reaganzglas entstanden sind. Darüber hinaus schließt die Konvention nicht aus, daß Gentest-Ergebnisse an Versicherungen und Arbeitgeber weitergegeben werden dürfen.

Die deutsche Enthaltung im Ministerkomitee hatte Schmidt-Jortzig im vergangenen Herbst damit begründet, daß die Debatte über die Konvention „in Deutschland noch nicht abgeschlossen“ sei. Eine öffentliche Anhörung der Betroffenenverbände hat die Regierung seitdem jedoch nicht veranstaltet. Allerdings führten die Minister vertrauliche Gespräche, unter anderem mit Vertretern der großen Kirchen und von Behinderten- und Sozialverbänden. Daß am Ende dieser Unterredungen Zustimmung gestanden hätte, wurde bisher öffentlich nicht bekannt. Im Gegenteil: mehrere Behinderten- und Sozialverbände haben in einem Schreiben an die Bundestagsabgeordneten ausdrücklich unterstrichen, daß sie es für nicht verantwortbar halten, die Konvention zu ratifizieren. Schon Ende Mai hatten die Delegierten des Deutschen Ärztetages ihre Ablehnung fremdnütziger Forschung an nicht einwilligungsfähigen Menschen erklärt. Und die Landtage von Hessen und Sachsen-Anhalt gaben per Beschluß zu Protokoll, daß sie die Bioethik-Konvention für nicht unterschriftsreif halten. Obendrein sammelt die Initiative „Bürger gegen Bioethik“ gerade eine Unterschriftensammlung unter dem Motto: „Keine Mindeststandards für Menschenrechte!“

Sollte die Bundesregierung trotzdem zeichnen, ist die Konvention hierzulande noch nicht rechtskräftig. Sie gilt erst, nachdem sie ratifiziert worden ist – und dafür ist ein Gesetzgebungsverfahren notwendig, bei dem Bundestag und Bundesrat Farbe bekennen müssen. K.-P. Görlitzer