Analyse
: Tories völlig desolat

■ Die britischen Konservativen lecken im Seebad Blackpool ihre Wunden

Und nun das Kontrastprogramm: Nach der Labour-Jubelfeier in Brighton veranstalten die Tories ihren Parteitag ab heute in Blackpool, einem anderen englischen Seebad. Während die Labour Party geschlossen hinter ihrem Chef Tony Blair steht, wetzen die Tories bereits das Messer gegen den 36jährigen William Hague. Der linke Flügel, allen voran der frühere Schatzkanzler Kenneth Clarke, hat Hagues Absage an die Europäische Währungsunion am Wochenende heftig kritisiert. Einige Proeuropäer überlegen, bei den Europawahlen 1999 mit einem eigenen Programm anzutreten. Aber auch der rechte Flügel hält nicht viel von Hague. Sein Führungsstil und seine verschwommene Taktik lassen selbst seinen Vorgänger John Major gut aussehen, sagte ein Parteimitglied. Die Basis hatte im Mai für Kenneth Clarke gestimmt, doch der Parteichef wird bei den Tories von den Abgeordneten gewählt. Um sich nachträglich das Parteimandat zu holen, hat Hague Stimmzettel an alle Mitglieder verteilen lassen. Heute vormittag wird das Ergebnis bekanntgegeben.

Was die WählerInnen von ihm halten, weiß man schon: Nur sechs Prozent der Bevölkerung glauben, daß Hague einen guten Premierminister abgeben würde. So wartet bereits mancher Konservative auf die nächsten Nachwahlen: Wenn ein Abgeordneter stirbt, könnten der frühere Verteidigungsminister Michael Portillo oder der letzte Hongkong-Gouverneur Chris Patten ins Unterhaus einziehen und Hague vor den nächsten Parlamentswahlen von der Spitze verdrängen.

Die Tories sind in einem desolaten Zustand. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben jedes Jahr 64.000 Mitglieder der Partei den Rücken gekehrt. Von den rund 200.000, die noch verbleiben, sind vier Fünftel über 45 Jahre alt, das Durchschnittsalter liegt bei 64. Die Jugendorganisation, die „Young Conservatives“, hat nur noch 3.000 Mitglieder. Schon warnt das konservative Centre for Policy Studies, daß die Tory-Partei noch vor den nächsten Wahlen für immer von der politischen Bühne verschwinden werde, falls man nicht schleunigst modernisiere.

Genau das hat Hague vor. Heute legt er dem Parteitag ein Diskussionspapier vor, in dem die umfassendste Parteireform in diesem Jahrhundert umrissen ist. Darin ist von demokratischeren Strukturen die Rede, damit die Basis mehr Einfluß bekommt; Frauen und ethnische Minderheiten sollen an der Parteispitze präsenter sein; ein relativ unabhängiger Ausschuß soll Korruption und schmuddelige Deals bei Abgeordneten verhindern; und schließlich braucht die Partei ein neues Image, um die überfällige Verjüngung zu ermöglichen.

In einer Zeit, wo ihre angestammten Positionen – Privatisierung, Law and order, unternehmerfreundliche Steuerpolitik, Durchgreifen gegen „Sozialhilfeschnorrer“ – von Labour besetzt sind, haben es die Tories schwer, ihre Identität zu finden. Hague hat Umweltthemen und Tierschutz als Attraktionen für seine Partei identifiziert. Doch solange die Tories an der Europafrage so tief gespalten sind, werden alle anderen Themen in den Hintergrund treten. Ralf Sotscheck