Krieg als kollektives Gehopse und Gewedel

■ Astrid Jacob, die neue Oberspielleiterin des Bremerhavener Stadttheaters, bewährt sich bei Brechts „Mutter Courage“nur bedingt

„Der Krieg nährt seine Leut besser als der Frieden“, das ist ihre Überzeugung, und so zieht sie mit ihrem Planwagen durch den 30-jährigen Krieg, verkauft ihre Waren an die Evangelischen wie an die Katholischen und hofft, „ihren Schnitt zu machen“, um sich und ihre Kinder durchzubringen. Jeder weiß, daß Mutter Courage dabei scheitert und daß sie weder aus ihrem eigenen Unglück noch aus der großen Katastrophe lernt. Nach dem Tod der Kinder zieht sie alleine weiter. Nicht die Courage wolle er sehend machen, schrieb Bertold Brecht, sondern das Publikum.

Was sieht das Publikum heute, wenn wieder einmal Mutter Courage sich ins Geschirr wirft und ihren Planwagen von Front zu Front weiterzieht? Die „erschütternde Lebenskraft des großen Muttertiers“hatte den Stückeschreiber bei der Uraufführung mit Therese Ghiese – 1941 in Zürich – so gestört, daß er seine Mutter-Figur durch nachträgliche Korrekturen häßlicher machen mußte. Weil sich der 100. Geburtstag dieses Jahrhundert-Dramatikers unaufhaltsam nähert, steht er wieder auf dem Spielplan. Und weil die Courage mit ihrer schlagfertigen Schnauze, mit ihrem beherzten Mutterwitz, mit ihrer wilden Mischung aus Durchblick, List und Naivität zu den faszinierenden Gestalten des Brecht-Theaters gehört, darf es auch in kriegsfernen Zeiten „Mutter Courage“sein.

Das Stadttheater Bremerhaven konnte diese Inszenierung wagen, weil es mit Christel Leuner im Ensemble eine Schauspielerin besitzt, der diese Rolle so gut wie auf den Leib geschrieben ist. Wenn die Inszenierung dennoch über weite Strecken wenig unter die Haut geht, dann nicht, weil Brechts Verfremdungs-Effekt beim Wort genommen wäre, sondern weil Astrid Jacob, die neue Oberspielleiterin des Schauspiels, aus vielen schönen Ansätzen kein dichtes Ereignis schmiedete. Da ist die stimmige Bühne, wenige Elemente deuten Ortswechsel an, rot und schwarz sind bis in die Kostüme hinein die vorherrschenden Farben. Da ist der clowneske Trommler und Leierkastenmann, der gemeinsam mit einer Flötistin die Songs begleitet. Da ist Christel Leuner als Courage, ergreifend, wenn sie die tote Tochter Kattrin in den Armen hält und mit herber Wehmut das Eiapopeia singt, oder sich mit dem Koch streitet, weil er verlangt, die behinderte Kattrin ihrem Schicksal zu überlassen. Da sind diese Momente, wo Christel Leuner fast allein auf der Bühne agiert und der Funke überspringt.

Aber er zündet nicht, denn sobald es lauter wird, sobald Soldaten, Bauern, Feldwebel und Feldprediger erscheinen, wird von allen Seiten kräftig und hilflos chargiert. Zum Beispiel Kattrin: Die Angst des stummen Kindes wird mit Gehopse und Armwedeln weggespielt. Zum Beispiel der Feldprediger: Seinen eindrucksvollsten Auftritt hat Berndt Stichler als Holzhacker, denn er kann tatsächlich hacken und die Splitter fliegen nach allen Seiten.

Hat Astrid Jacob Angst gehabt vor dem 100 - jährigen Brecht, daß sie dem Klassiker kein Wort krümmen wollte? Daß nach der Pause zwischen den Szenen Fotos aus dem Nazi-Krieg gegen die Sowjetunion eingeblendet werden, ist gewiß so zeigefingerstark wie Brecht es gefallen hätte, aber es war spürbar eine Irritation. Danach blieb alles wie gehabt. Eine unentschiedene Inszenierung, ein bißchen episch, ein bißchen dramatisch, ein bißchen Lorbeer für den Meister und viel Staub. Hans Happel

weitere Aufführungen 11./14./ 24./ 29. Oktober