■ Harald Wessel macht sich Sorgen um die Einheit
: Freimütig beackerte Problemfelder

Als die DDR-Welt noch schön und heile war, da saß Harald Wessel auf dem Sessel des Chefredakteurs, den es auch in der sozialistichen Tageszeitung Neues Deutschland gab, und wachte darüber, daß alles seinen sozialistischen Gang ging.

Kein Wunder, daß der Mann nicht sonderlich beliebt war, weshalb er nach der Wende schleunigst aufs Altenteil gesetzt wurde. Dort hätte er noch lange vor sich hinmuffeln und über den Verfall der sozialistischen Sitten mosern können, wenn die junge Welt nicht auf die Schnapsidee gekommen wäre, ihn als Kolumnisten zu verpflichten, offensichtlich in der ebenso hinterhältigen wie gemeinen Absicht, ihn durch den Abdruck seiner wöchentlichen „Post aus der Provinz“ der Blamage preiszugeben. Dort schreibt er jetzt z. B. Empörtes über die Amerikanisierung der Sprache, führt wortreiche Beschwerde gegen ein „Baumaterialienlager“, welches seinen Wunsch nach drei Gerüstdielen von je fünf Meter Länge nicht erfüllen konnte, oder verfaßt offene Briefe an Leute wie „Prof. Dr. Hans-Joachim Veen, Forschungsdirektor der Konrad-Adenauer-Stiftung“, weil ein ihm „seit vielen Jahren bekannter FAZ- Herausgeber“ leider Wessels „Bereitschaft, in eine Diskussion über Ihre Erwägungen einzutreten“, abschlägig beschieden hat. Sehr übel, das.

„So bleibt mir eigentlich nur dieser Weg eines offenen Briefes, um eine öffentliche Aussprache anzuregen, die viele vernünftige Landsleute ,hüben wie drüben‘ für dringlich halten.“ Natürlich hat der FAZ-Herausgeber gut daran getan, diesem verquasten Schwätzer vor dem HErrn keinen Platz einzuräumen. Mit einer lächerlichen und gespreizten Sprache und einer selten dämlichen Ernsthaftigkeit – „Sie, sehr verehrter Professor Veen, haben mit Ihrem FAZ-Aufsatz ein Problemfeld aufgetan, das dringend freimütig beackert werden muß“ – sorgt sich Wessel um die innere Einheit Deutschlands: „Die Lage ist ernst, wie der Namenspatron Ihrer Stiftung [Konrad Adenauer] zu sagen beliebte.“

Man stellt sich einen vom ungerechten Lauf der Welt schwer enttäuschten und von aller Realität abgeschnittenen Mann vor, der nicht begreifen kann, daß sein Stil nicht witzig und charmant ist, sondern trottelig und antiquiert wirkt; der beleidigt darüber ist, daß ihn niemand mehr nach seiner werten und überaus wichtigen Meinung fragt, und der deshalb alle Symptome einer Bunkermentalität ausbildet. Seine ranzigen Ressentiments und sein großsprecherisches Gehabe, welche in Zeiten der DDR noch selbstverständlich waren und zum Weltbild jeden ND- Lesers gehörten, erscheinen heute nur noch als völlig abgedreht und gaga:

„Ihr Parteifreund Professor Kurt Biedenkpof hat kürzlich in einem von Phoenix verbreiteten Vortrag apodiktisch gesagt, die DDR selbst habe keinerlei Eliten hervorgebracht. [Womit er, nimmt man Wessel zum Maßstab, ja völlig recht hat.] Können Sie, verehrter Professor Veen, mich wissen lassen, ob es irgendwo irgendwelches wissenschaftliches Material gibt, mit dem sich Biedenkopfs Apodiktum begründen ließe? [Empirisches Material gibt's aber wirklich reichlich.] Noch im Januar 1989 saß Biedenkopf zwei Tage lang beim 87. Bergedorfer Gesprächskreis [Whow!!] im Hotel Bellevue zu Dresden neben Manfred von Ardenne und mir. Mit keinem Wort und mit keiner Geste haben Biedenkopf und Walter Leisler Kiep uns damals zu verstehen gegeben, daß sie uns für verkappte Deppen halten.“

Das sind Sätze, die Harald Wessel unsterblich machen werden, denn niemand hätte sich die ausdenken können, und wenn, dann hätte keiner sie geglaubt. Klaus Bittermann