Letter from Shanghai
: Grünidyll made in China

■ Unser Dorf soll schöner werden, lautet die Devise auch in Shanghai, aber wer gießt die Grünanlagen? Ein beschaulicher Rundgang

Erleichtert entnimmt der umweltbewußte Zugereiste der lokalen Presse die Nachrichten vom wachsenden Bemühen der chinesischen Regierung um Kontrolle und Abbau der herrschenden Umweltverschmutzung. Ein Projekt ist der Plan zur Säuberung des in der Tat extrem verseuchten und stinkenden Suzhou Creek, einem schmalen Wasserlauf am nördlichen Rand der Innenstadt. Alte Fotos zeigen den Creek als Idylle samt Hausbooten. Heute ist das Ufer vor allem von umwelterschöpfendem Kleingewerbe gesäumt, die Hausboote dümpeln im Dreck. Die Wiederherstellung der Idylle ist nach den Worten des Shanghaier Vizebürgermeisters Xia Keqiang eine der vordringlichsten Stadtentwicklungsmaßnahmen bis zum Jahrtausendende. Geplant ist, die Ufer beidseitig von den Kleinwerften und Lagerhausschuppen zu befreien und eine begrünte Uferpromenade nach westlichem Vorbild einzurichten, dem Shanghai- Tourismus zu Nutz und Frommen. Bei uns um die Ecke erahnt man bereits, wie das aussehen wird.

Vor etwa zwei Monaten war die Beijing Lu über weite Strecken für Fußgänger nicht betretbar, da aufgerissen. Nun flaniert es sich wieder sehr angenehm; um so mehr, als die sorgfältig gestutzten Platanen nun von Beeten umzingelt sind, deren neue steinerne Kanten dem unregelmäßigen Bürgersteig aufliegen wie ein schlecht besohlter Schuh. Und schon sind wir mitten in einer weiteren Kampagne, die der Begrünung der gesamten, vor allem von Ausländern stets als zu grau und baumlos beschimpften Stadt gilt. Unter der Hochstraße grünt es tapfer gegen den allgegenwärtigen Staub an, und sogar an den Außenmauern der Fahrbahn hat man Blumenkästen installiert. Das Rätsel, wer diese hängenden Gärten gießt, ist noch ungelöst – eine Möglichkeit wäre es, den Autofahrern während der Rush-hour etwas Entspannung beim Gießen zu gönnen.

Vor unserem Haus kollidieren derweil die gärtnerischen Bemühungen von öffentlicher und privater Hand. Die steingesäumten Neuanlagen mit dem offenbar abgasresistenten Buchsbaum und jungen Bäumen verdanken sich der jüngsten Initiative zur Stadtverwaldung. Dagegen bekränzte die Hausverwaltung bereits zu einer Zeit, als man noch fast auf einer Baustelle lebte, die wuchtige Steintafel mit dem Namen des Hauses sowie Grundstückskanten und Hausvorplatz mit Grün. Außerdem hob man die Bedeutung der Anlage und das Sicherheitsbewußtsein ihrer Betreiber zusätzlich durch schwarze Gitter hervor. Die Beete vor dem Haus dienen nicht zuletzt angemessener Beflaggung. Die Fahne der Volksrepublik, der Sonderverwaltungszone Hongkong und natürlich die Hausfahne flankieren einträchtig den Eingang des Wohnungsvermietungsbüros. Dank der gemeinsamen Anstrengung hat sich der einst ungewöhnlich breite Bürgersteig vor dem Haus in einen ortstypisch beengten Parcours verwandelt, der für die Uferpromenade des Suzhou Creek einiges ahnen läßt.

Die Stadtbegrünung hat jedoch ihr Pendant in der Stadtbereinigung, die wiederum direkte Konsequenz des Shanghaier Baubooms seit Beginn der neunziger Jahre ist. 60 Prozent der schlecht erhaltenen Wohnfläche von 3,7 Millionen Quadratmeter sind bereits abgerissen worden, in der Innenstadt warten noch eine Million Quadratmeter gefährlich heruntergekommener Behausungen auf den Abriß.

In der Tat, blickt man aus dem Fenster, findet man in regelmäßigen Abständen frisch geräumte Flächen, aus denen in Monatsfrist die Fundamente neuer Hochhaustürme ragen. Die ehemaligen Bewohner dieser sogenannten Li-longs, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die chinesischen Wohnsiedlungen innerhalb der internationalen Niederlassungen, sind inzwischen größtenteils in die rasch wachsenden Neubauviertel vor der Stadt umgesiedelt worden.

Mit den Li-longs verschwindet nicht nur eine faszinierende architektonische Mischung europäischer und chinesischer Bauformen, es verschwindet vor allem eine Lebensform. Die verbliebenen Nachbarn nutzen die neugeschaffenen Grünflächen als Alternative zu ihren stickigen und beengten Wohnräumen. Da offenbart sich die eigentliche Funktion der so befremdlich hoch und stabil gemauerten Steinfassungen der Beete: Kühlt sich die sommerliche Hitze abends etwas ab, sitzt man plaudernd auf den neuen Bänken. Stephanie Tasch