Die Dame Super Nova

■ Eine Gitarre rattert wie eine Spielzeugeisenbahn. Björk? - Björk ist keine verdammmte Buddhistin! Sie hat nur festgestellt, daß sie die Menschen mag, und das ist - Erleuchtung

Björk, das Glück, das Unglück, die doofe Liebe und andere Katastrophen. Noch nicht völlig überwunden, das Ganze, aber immerhin schon musikalisch formatiert. Und am Ende so etwas wie ein Lebensweg von „Einfachheit und Fülle“. Da haben wir den Salat: „Ich möchte einen Berggipfel besteigen, mit einem Radio und guten Batterien, freudige Melodien spielen und die menschliche Rasse vom Leiden erlösen!“ So bekundet Björk in „Alarm Call“. Soll man einen guten Arzt anrufen? Das Mädchen für ein Jahr in die Produktion ans Fließband schicken? „Homogenic“ ist der Titel von Björks aktueller Enzyklika, und „alles ist voll von Liebe“, tatsächlicher und spiritueller. Das Wort Album will da nicht so recht passen.

„Homogenic“ vertritt, wie alle Religionen, wenige einfache Grundsätze, und das scheinbar klaustrophobisch, reicht diese dafür aber aus Gemeindemitglieder- Werbegründen malerisch dar. Nicht überzeugen, nein, überwältigen, heißt die Devise von „Homogenic“ – ein imaginärer Leitsatz, der zumindest an eine sowieso überwältigte Björk-Gemeinde verschwendet ist. Das proklamierte „Homogenic“-Feeling (nicht etwa „homogeneous“), nach dem ersten Hören nichts als ein Ozean von kapriziös überarrangierten Liebesliedern, entpuppt sich jedoch als Nocturno über Welt, Mann und Frau an sich. Das letzte war ein bewegtes Jahr für Björk. Eine Briefbombe, gebastelt von einem Fan, der sich umbringt, kann knapp entschärft werden, eine kräftezehrende On-off-Liebe, die durch alle Medien ging. Der 8jährige Sohn Sindri wird in Bangkok belästigt. „Homogenic“ ist mit seinem unterschwelligen Nervenzittern ein Album der Katharsis, eins der neuordnenden Selbst-Erfindung, ähnlich wie es bei PJ Harvey (nach einem schweren Nervenzusammenbruch) und „Rid of Me“ war.

Nun gut, die Sache mit der Biographie ist bei Björk sowieso abhängig vom idiosynkratischen Quotienten. Man erfährt von „Homogenic“ anderes von dem Etlichen, das man Björk nie zu fragen wagte: „I'm a fountain of blood / in a shape of a girl.“ Mehr soll da nicht sein? Nix mit Eskimoprinzessin, Kobold und all dem Gelumpe, wofür bessergestellte Zeitschriften viel Geld bezahlen? (Neid!) Ist Björk jetzt wieder glücklich, shoppt sie lustig bei Stella McCartney und Versus? Das wäre gefährlich, denn Glücklichsein macht dumm (angenehm dumm) und erfolglos. Der Widersinn im Menschen verlangt nach Qualen und Erlösung. Björk, glaube ich inzwischen, ist gar kein Mensch, und „Homogenic“ wird ein Erfolg werden. Denn „Homogenic“ ist keine dumme Platte, sondern eine allgemeine. „If travel is searching / and home has been found / I'm not stopping / I'm going hunting“ („Hunter“). Da ersteht sogar ein little drummer boy, zu dessen gruseliger Kindlichkeit es sich leicht bekennen läßt. Björks Auge ruht auf Wurzeln, findet weltumspannende Angelegenheiten: „Thought I could organize freedom / how scandinavian of me.“

Altes Wort aus Omas goldenem Sprüchebeutel: Das Glück ist ein Ochse und sucht seinesgleichen. Liebe ist (Björk dreimal gehört) wie in „Joga“: erst ansteigendes Flimmern, dann überwältigende Schwermut, die Björk-typischen, extraweiten Bögen. Das echte Islandic String Octet und geigende Synthesizer simulieren indisches Flanieren. Bloß gut, daß Stereo erfunden wurde, denke ich. Eine Gitarre (fehlgeleitet etwa in die Zeiten der Hoch-Björk?) rattert von rechts nach links wie eine Spielzeugeisenbahn in der Kurve. „Unravel“, das schönste, am meisten erwachsene Liebeslied über die Trennung, läuft zum guten Ende mit Orgel und Bläsern ins Sakrale: „When you come back / we'll have to make new love.“

Warum nicht? „When love goes wrong / nothing goes right“ (Marilyn Monroe). Silber mit Blaßlila über Rot, sieht nicht übel aus (merke: nach London fahren, Kleid kaufen). Das Cover-Design mit chinesisch erblühender und japanisch zugeschnittener Geisha- Robe, afrikanischem Massai-Halsschmuck und mexikanischem Dutt in Herzform kreierte Alexander McQueen. These einer Knatter- Denkologin: Der fette Darling der Haute Couture plus eine isländische Charisma-Schleuder, das macht summa summarum einmal In-43-Minuten-um-die-Welt und zurück. „Die Ferne ist ein schöner Ort / doch bin ich da / dann ist sie fort“, wußte man hinter dem Eisernen Vorhang. Auf dem Weg von dort nach hier, der sich – Stichwort Globalisierung – eigentlich immer mehr erübrigt, hat Dame Super Nova Björk das alternative Sugarcubes-Bandmodell, Techno Prayers, Dance und House, die Alben „Debut“ (1993) und „Post“ (1995) aufgesaugt und zurückgelassen, sind für „Homogenic“ vor allem ein großes, dunkles, fötales Blubbern und, siehe da, ein paar Sendestörungen übriggeblieben. Die sind so treffsicher plaziert wie der Blumentopf, den eine wütende Dame in der Werbung nach ihrem Ritter schmeißt. „5 Years“ sind auch für ein altersloses Erlebnis-Ei wie Björk eine lange Zeit; da heißt es wieder mal aufräumen mit den Männern.

Björk beschreibt das Wesen von „Homogenic“: „Es ist ein Aroma, alles Rosa – ohne Grün oder Blau... Wie ich, ganz ohne Make- up.“ Zuletzt: Da macht man sich die Mühe, die Lupe rauszukramen, und dann weisen die Akten lauter Sinnverdrehungen auf. Björk, das Original: „If you forget my name / you'll go astray / like a killer whale trapped in a bay.“ Booklet: „Go astray / forget my name / a killer whale trapped in a bay.“ War das nun Absicht – raffinierter Zwang zum Think twice! –, oder muß man wirklich alles selber machen? Soll das Herz nun lieben oder vergessen, siegen oder untergehn? Herzen sind niemals praktisch, ausgenommen die, welche sich an Björk gehängt haben.

Tatsächlich ist die Frau so gut wie zweiunddreißig, und zu ihren unzerstörbaren Versprechen gehört, daß man sie sich auch noch mit sechzig vorzustellen vermag, wie sie ihre nie berechenbare, schöne Musik macht, vielleicht in „Contact“ mit den Außerirdischen vom Mars: Kosmische Hetero-Homo-Botschaften auf allen Frequenzen und Diva Björk, gewandet in ein fluoreszierendes Kraftspielwams. Anke Westphal

Björk: „Homogenic“ (Polydor)

PS: Kraftspielwams (altreindeutsch): Pullover