: Schlafes Bruder
Robert Wyatt schreibt Lieder, „um mit der Unfähigkeit fertig zu werden, in der wirklichen Welt zu funktionieren“. Ein Gespräch mit der Musikerlegende (Ex-Soft-Machine) über Kommunismus, Britpop und ein Leben im Rollstuhl
taz: Sie sind nicht gerade ein Vielschreiber unter den Songwritern. Nun gibt es nach sechs Jahren eine neue Platte. Was war der Anlaß?
Robert Wyatt: Vor zwei Jahren bin ich fünfzig geworden und hatte plötzlich das Gefühl, daß ich einige der Dinge, die ich immer schon machen wollte, besser heute als morgen tun sollte.
Torschlußpanik?
Es war keine Panik, eher die Erkenntnis, daß die Jahrzehnte nicht für immer so vorbeirollen werden. Noch ein Dekade und ich bin in meinen Sechzigern. Vielleicht bin ich dann physisch nicht mehr in der Lage, meine Ideen zu verwirklichen. Die Medikamente, die ich seit meinem Unfall nehmen muß, halten mich am Leben, aber meine Lebenserwartung ist nicht hoch. Dinge können schiefgehen.
„Shleep“, die neue Platte, ist klangmalerischer als ihre Vorgänger. Wie haben Sie komponiert?
Der eigentliche Startpunkt war mein Eingeständnis, daß mir die richtigen Worte nicht einfallen werden. Deshalb borgte ich ein paar Gedichte von meiner Frau Alfreda Benge. Wenn man Worte in Musik faßt, ist es wichtig, daß es organisch klingt. Text und Musik müssen eine natürliche Einheit bilden. Mit den Gedichten meiner Frau funktioniert das. Oft handelt es sich dabe um Fragmente, was aber oft reicht. Haikus sind ja auch sehr kurz und doch lang genug. Dabei ist von Bedeutung, daß ich die Erfahrungen geteilt habe, von denen der Text spricht. Ich brauche diese Intimität, die mir das Gefühl gibt, daß ich ins Innere der Worte vorstoßen kann.
Wie suchen Sie die Texte aus? Was sind die Kriterien?
Ausschlaggebend ist der klangliche Charakter. Ich muß das Gefühl haben, daß die Worte auch von mir stammen könnten. Wie dann die Musik zustande kommt, ist mir selber rätselhaft. Ich folge meinen Instinkten, höre den Worten genau zu und entdecke Tonhöhen, Rhythmen und Klangfarben, die ich dann musikalisch herauszuarbeiten versuche.
Welchen Anteil hatten die Gastmusiker Brian Eno und Phil Manzanera (beide Ex-Roxy-Music) an der Produktion?
Ich hatte viel Hilfe und brauchte sie auch, weil ich ein bißchen einsam wurde. Phil Manzanera war absolut unerläßlich. Er ist halb Südamerikaner, und obwohl ich nicht an kulturelle Stereotypen glaube, strahlt er eine völlig entspannte Autorität aus. Ich kann ihn mir gut auf einem Pferd auf seiner Hazienda vorzustellen. Normalerweise habe ich panische Angst vor dem Studio. Doch bei Phil Manzanera fühlte ich mich wie zu Hause. Ich hatte nicht das Gefühl, daß mir jemand wie ein Lehrer über die Schulter schaut, was mich lähmt. Er ließ mir Zeit, bestimmte Sachen auszuprobieren. Obwohl ich normalerweise schnell arbeite, weil meine Schallplatten nicht viel Geld einspielen und ich deshalb nicht wie Keith Richards im Studio rumsitzen kann und mir überlegen, was ich als nächstes tue. Ein weiterer Vorteil war, daß Manzaneras Studio nicht allzu weit von London entfernt liegt, und so konnten wir alte Freunde wie Brian Eno bitten, doch einmal für einen Nachmittag vorbeizukommen. Obwohl Eno nur auf drei Stücken dabei ist, war seine Anwesenheit ungeheuer inspirierend. Nicht nur, was seine Weisheit und Erfahrung im Studio betrifft. Er bringt gleichzeitig den Enthusiasmus eines kleinen Hündchens mit, wenn er arbeitet. Das erleuchtete die ganze Session.
Es ist schwer, bestimmte musikalische Einflüsse auszumachen. Was für Musik inspiriert Sie?
Ich bediene mich wie ein traditioneller Volksmusikant überall und ohne Scham. Allerdings überzeugt mich nichts, bevor ich es nicht lange verdaut habe. Bei einem Stück verwenden wir eine veränderte Version des berühmten Bo-Diddley-Rhythmus. Eno bat den Gitarristen, darüber Variationen eines lateinamerikanischen Bossa-Nova-Rhythmus zu legen, was etwas vollkommen Neues ergab. Dennoch haben wir die ursprünglichen Ideen von Bo Diddley und Bossa Nova geklaut. Ich war schon immer von Musik fasziniert, die nicht westlicher Herkunft war. Mich ziehen die Ränder an, wo westliche Musik auf andere Traditionen stößt, etwa im Flamenco oder schwarzer Musik aus den USA. Die Großmutter von Louis Armstrong war eine afrikanische Sklavin, weshalb Armstrongs Musik schon „Weltmusik“ ist – eine Synthese. Und wenn der Jazzsaxophonist Lester Young ein Stück des russischen Juden Irvin Berlin spielt, ist das ebenfalls Weltmusik, die für mich immer interessanter war als die meiste englische Musik. Aus diesem Grund war ich nie ein musikalischer Nationalist. Ich weiß nicht, ob die Geschichte über Herbert von Karajan stimmt. Er soll mit dem Satz „Ich würde alles tun, um Dirigent der Berliner Philharmoniker zu werden“, seinen Eintritt in die Nazi-Partei gerechtfertigt haben. Die meisten Leute verurteilen das und zwar zu Recht. Aber: Ich habe die Berliner Philharmoniker gehört, und die sind absolut fabelhaft, weshalb die Verführung für ihn größer war als für jemand anderes. In England gibt es nichts, was mich derart in Versuchung bringen könnte.
Auch nicht Britpop?
Jetzt muß ich aber bitten. Schon das Wort „Brit“ empfinde ich als Zumutung. Es ist von einer grauenhaften Aufgeblasenheit, in der ein brutaler Triumphalismus mitschwingt. Das ist genau das Gegenteil von „cool“, und als Jazzfan kann mir das nicht gefallen. Was die Musik betrifft, so habe ich sogar ein paar Freunde in der Britpop-Szene, etwa Paul Wellers Schlagzeuger, dessen Bruder wiederum der Drummer von Oasis ist. Das sind versierte Schlagzeuger, und mit Drummern bin ich immer gut ausgekommen. Doch über das Persönliche hinaus ist da für mich nicht viel drin. Ich kann es nicht als Vergnügen empfinden, mich von jungen Männern anbrüllen oder anmachen zu lassen, dazu bin ich zu heterosexuell. Und als Großvater finde ich es auch nicht allzu interessant, in einem Akt kultureller Pädophilie den musikalischen Vorlieben der Kinder zu folgen. Ich muß mich um meine eigenen Sachen kümmern.
Vor ein paar Jahren habe Sie dennoch mit der Elektronik- Gruppe Ultramarine einige Titel aufgenommen?
Ja, das sind wirklich nette Jungs, aber die kulturelle Distanz war enorm. Trotzdem war es interessant. Allerdings zielen meine eigenen Visionen in die entgegengesetzte Richtung. Ich will eines Tages ein Album aufnehmen ohne Elektronik, rein akustisch. Es gibt keine Baßgitarre in Beethovens letztem Streichquartett, und vielleicht komme auch ich einmal ohne aus.
Dabei spielen Sie wunderbar Baßgitarre auf dem neuen Album.
Ja, und mit Vergnügen. Ich habe den Drang, soviel wie möglich selber zu machen, vielleicht weil ich mir beweisen will, daß ich doch zu etwas nütze bin. Dabei bin ich nicht auf Virtuosität aus. Eher geht es darum, jedem Stück einen konsistenten Charakter zu geben.
Früher haben Sie oft Cover- Versionen bekannter politischer Lieder gesungen, ob von Victor Jara oder „Die Internationale“. Auf „Shleep“ sucht man danach vergeblich. Haben Sie sich von der Politik verabschiedet?
Das sind zwei Fragen in einer. Daß ich Lieder anderer Leute gesungen habe, resultierte aus einem Mangel an eigenen Kompositionen. Wenn man gebeten wird, etwas aufzunehmen, und man hat kein Material, singt man eben Covers. Mit meinen politischen Denken hat das nichts zu tun. Es ist ein prägendes Element meiner Existenz. Zeitweise greift die Politik der Leute an der Macht so stark in mein Leben ein, daß ich gar nicht anders kann, als sie in Lieder zu verarbeiten. Das ist mehr deren Problem: Wenn sie zurückweichen, dann gebe ich ebenfalls nach.
Und sind sie zurückgewichen?
In gewisser Weise ja. Etwa im Fall der Apartheid in Südafrika. Das war die Situation, die ich am unerträglichsten fand. Und mit welcher Verlogenheit unsere Politiker damit umgingen. Besonders peinlich war es für diejenigen von uns, die mit schwarzen Musikern zusammenarbeiteten. Man kam sich wie ein Idiot vor. Das trieb mich lange Zeit um. Jetzt, nachdem Mandela sich als der vielleicht größte Staatsmann der Welt erwiesen hat und die ganzen paranoiden Vorhersagen als totaler Blödsinn, ist eine Last von mir gefallen. Erst jetzt kann ich wieder afroamerikanische Musik uneingeschränkt genießen.
Welche Rolle spielte bei Ihrer Politisierung der Tod von Mongezi Feza, des schwarzen südafrikanischen Trompeters, der auf einigen Ihrer Platten zu hören ist?
Das war ein Schlüsselerlebnis, weil es das Problem direkt in mein Leben brachte. Es war damit nicht mehr eine abstrakte Sache. Niemand konnte mir mehr vorhalten, daß ich die Musik künstlich politisieren würde, wenn ein Freund und Mitmusiker, der damals wie ich 31 Jahre alt war, an Erschöpfung stirbt, nur weil er schwarz war. Als Schwarzer wirst du in den Krankenhäusern als Mensch zweiter Klasse behandelt. Ich hatte keine andere Wahl. Ich mußte mich damit befassen.
Gibt es von hier eine direkte Beziehung zu Ihrem Eintritt in die kommunistische Partei in Großbritannien Mitte der 70er Jahre?
Schon, weil die kommunistische Partei die einzige politische Kraft war, die eine rationale Analyse von Macht, Geld und Militär geleistet hat und moralisch damit umgegangen ist. Als ich beitrat, war allerdings Stalingrad schon lange wieder in Wolgograd umbenannt, und der Kommunismus befand sich in der Defensive. Ich trat irgendwie bei, um der Idee ein anständiges Begräbnis zu verschaffen, und bin noch heute froh darüber, weil ich einige der nettesten Leute dort traf. Vielleicht ist es die ironische Wahrheit, daß überall, wo der Kommunismus nicht an die Macht gelangt ist, er eine wunderbare moralische Kraft darstellt, vergleichbar mit der katholischen Kirche in England, die viel menschlicher ist als der Vatikan, einfach weil es die Religion einer marginalisierten Kultur ist, der Iren in England. Wahrscheinlich wäre ich noch heute Mitglied in der kommunistischen Partei, hätte sie nicht 1991 Harakiri begangen.
War die Labour Party je eine Option?
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Meine Frau und ich waren Mitglieder der Labour Party für eine gewisse Zeit und sind kürzlich wieder beigetreten. Mich störte immer ihre ambivalente Rolle als Puffer zwischen den gesellschaftlichen Blöcken. Deshalb war sie nie die authentische Stimme der Opposition, der Deklassierten und an den Rand Gedrängten. Wenn man sich dessen bewußt ist und nicht mehr erwartet, ist es in Ordnung. Ich hoffe, daß sich New Labour als Erfolg erweist, weil es ja nichts anderes mehr gibt, seit sich revolutionäre Politik als Fehlschlag erwiesen hat. Ich bin interessiert zu sehen, ob es wirklich möglich ist, Banken zu humanisieren. Dennoch bleibe ich skeptisch und versichere niemandem meine Loyalität. Ich bin der Auffassung, daß sich Politiker jedes Quentchen Respekt, das ich ihnen gebe, hart verdienen müssen.
Wie hat der Unfall Ihre Sicht auf die Welt verändert?
Überraschenderweise nicht allzu sehr. Es war nicht jene Art von Trauma, die mein Innenleben umgekrempelt hätte. Man denkt ja, wenn man das Rückgrat bricht, daß das die ganze Indentität verändern würde. Aber es ist ein eher körperliches, technisches Problem. Seelisch bleibt man die gleiche Person. Zum Beispiel empfand ich weit mehr Schmerz und Desorientierung, als ich bei Soft Machine hinausgeworfen wurde. Der Unfall war ja kein purer Zufall. Ich hatte derartige Dinge schon öfter gemacht, was mit psychischen Problemen zusammenhing und mit Alkohol. Ich mag heute noch alle legalen Drogen bis zum Exzess. Irgendwie kann ich dem Unfall inzwischen sogar etwas Positives abgewinnen, weil er meinem Leben eine andere Richtung gab.
Sie waren damals mit Soft Machine eine Art Rockstar?
Das ist übertrieben. Wir hatten keine Hitsingles, und einige der Tourneen erwiesen sich als Desaster. Das Rockleben widerte mich an. Bei einem Konzert in Köln wurde ein Mädchen von der Bühne geworfen und brach sich den Arm. Das entsetzte mich. Es gab mir das Gefühl, daß da etwas schrecklich außer Kontrolle ist. Eine Rockgruppe auf Tournee gleicht einer Horde betrunkener Soldaten in einem besetzten Land. Als ich das alles nicht mehr tun konnte, fühlte ich mich wie befreit. Nach dem Krankenhaus begann ich an meinen Soloalben zu arbeiten und fühlte mich wieder als Herr der Dinge. Ich konnte die Musiker auswählen, mit denen ich arbeiten wollte, ob Fred Frith oder Mike Oldfield. Auf der anderen Seite: Als Behinderter kann ich meine Musik kontrollieren, aber nichts sonst. Ich bin auf die Gnade der Leute um mich herum angewiesen. Aber die Leute um mich herum sind sehr nett, deshalb tut es nicht allzu sehr weh. Es ist entwürdigend, aber nicht schmerzhaft.
Ist diese Abhängigkeit am schwersten zu ertragen?
Ja, und ich kann immer noch nicht damit umgehen. Es ist gefährlich, zu lange darüber nachzudenken. Ich flüchte mich durch Musik in Phantasiewelten, um mit der Unfähigkeit fertig zu werden, in der wirklichen Welt zu funktionieren. Vielleicht versuche ich auch deswegen fortwährend der Klaustrophobie der englischen Kultur zu entkommen, weil mein Leben im Rollstuhl klaustrophobisch genug ist. Interview: Christoph Wagner
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