Rumänien will nur eine sanfte Durchleuchtung

■ Das Parlament in Bukarest debattiert über eine Gesetzesvorlage zur Einsicht in die Akten der kommunistischen Geheimpolizei. Doch der Entwurf ist den meisten Abgeordneten zu radikal

Bukarest (taz) – Es sind Hunderte, vielleicht Tausende. Manche gehörten schon vor 1989 zu den Prominenten, andere sind weniger bekannt. Die einen sitzen wieder in hohen öffentlichen Funktionen, andere sind schwerreiche Geschäftsleute, die ihr Vermögen auf dunklen Wegen zusammengerafft haben. Doch nur wenige stört es in Rumänien, daß sie früher ranghohe Parteifunktionäre, berüchtigte Securitate-Offiziere, Spitzel, Ideologen oder Lobhudler des Ceausescu-Regimes waren.

In dieses Bild einer verbreiteten Amnesie paßt der Streit, der in diesen Tagen in der rumänischen Regierungskoalition über die Öffnung der Securitate-Akten geführt wird. Rumänien ist neben der Slowakei und Rußland das letzte Land des ehemaligen Ostblocks, in dem Akten und Archive der kommunistischen Geheimpolizei bisher verschlossen blieben – und zwar selbst für Wissenschaftler. Zwar lagern in den Schubladen des Bukarester Parlamentes seit langem mehrere Gesetzentwürfe zur Aktenöffnung. Doch in den vergangenen Jahren verzögerte das Regime um den neokommunistischen Staatspräsidenten Ion Iliescu immer wieder deren Verabschiedung.

Knapp ein Jahr nach der demokratischen Wende kündigte der rumänische Ministerpräsident Victor Ciorbea nun Ende letzter Woche an, daß die Rumänen spätestens in zwei Monaten Einsicht in ihre Securitate-Akten nehmen könnten. Über eine entsprechendes Gesetzesvorlage will das Parlament demnächst in dringlicher Sitzung debattieren und abstimmen. Der Entwurf aber, um den es geht, ist den meisten Abgeordneten zu radikal.

Ausgearbeitet hat ihn ein bekannter Abgeordneter der größten Koalitionspartei, der Bauernpartei – Constantin Ticu Dumitrescu, der zugleich Vorsitzender der Organisation der ehemaligen politischen Gefangenen ist. Dumitrescus Entwurf will nicht nur eine Aktenöffnung ermöglichen. Er sieht auch vor, die Namen sämtlicher Securitate-Informanten im amtlichen rumänischen Gesetzblatt zu publizieren. Außerdem sollen ehemalige Securitate-Mitarbeiter, Parteifunktionäre und Informanten für eine Dauer von mehreren Jahren keine öffentlichen Funktionen ausüben dürfen, wobei die Liste dieser Funktionen bis weit hinunter in den Staats- und Verwaltungsapparat reicht.

Die Forderung, ehemalige Funktionäre und Mitarbeiter des kommunistischen Repressionsapparates aus dem öffentlichen Leben zu entfernen, ist nicht neu. Anfang 1990, einige Monate nach dem Sturz des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescu, wurde sie in der sogenannten „Proklamation von Temeswar“ erhoben, die damals mehrere hunderttausend Menschen unterschrieben.

Mittlerweile jedoch betrachten die meisten rumänischen Politiker der christdemokratisch-sozialliberalen Koalition und auch Rumäniens Staatspräsident Emil Constantinescu diese Forderung als überholt. Sie weisen etwa darauf hin, daß sowohl die Securitate als auch ihre Nachfolgegeheimdienste zahlreiche Dossiers gefälscht hätten, um Politiker oder Prominente zu diskreditieren. Deshalb sei die Wahrheit über Informanten kaum mehr in Erfahrung zu bringen. Der Gesetzesvorschlag des Abgeordneten Constantin Ticu Dumitrescu eröffne nur den Weg zu einer Hexenjagd und zu Erpressung.

Es gilt als wahrscheinlich, daß die Koalition sich darauf einigen wird, einen einfachen Aktenzugang zu ermöglichen, die anderen Bestimmungen des Entwurfes aber fallenläßt. Mit der „sanften“ Version ist Dumitrescu jedoch nicht einverstanden. Nachdem er Koalitionspartner und Parteikollegen kritisiert hatte, das Gesetz verwässern zu wollen, wurde er letzte Woche vorerst für ein Jahr aus der Bauernpartei ausgeschlossen.

Merkwürdigkeit am Rande: Ausgerechnet die rumänische Tageszeitung Ziua (Der Tag), deren Direktor ein ehemaliger Securitate-Spitzel ist, titelte mit einer riesigen Schlagzeile empört: „Die Koalition hat Dumitrescu verraten!“ Keno Verseck