Regierungsglitzern in grünen Augen

Die neue rot-grüne Koalition muß sich nicht mehr mit den alten Konflikten plagen, doch spannungslos wird das neue Bündnis nicht. Die SPD hofft mit Blick auf Bonn, daß das Projekt „kein Quälkram“ wird  ■ Aus Hamburg Silke Mertins

Man fiel sich einfach schon mal in die Arme. Hamburgs designierter Bürgermeister Ortwin Runde hatte die frohe Kunde, daß sich der SPD-Landesvorstand am späten Montag abend für Koalitionsverhandlungen mit der Grün-Alternativen Liste (GAL) entschieden hat, noch gar nicht offiziell mitgeteilt, da konnte sich die Sozialsenatorin schon nicht mehr zurückhalten. Helgrit Fischer-Menzel drückte Parteichef Jörg Kuhbier ebenso herzlich wie heftig an sich und säuselte ein „Das habt ihr wirklich gut gemacht“ in sein Ohr.

Fast zehn Jahre hatten die Parteilinken unter dem konservativen SPD-Bürgermeister Henning Voscherau wenig zu lachen. Nun läßt sich das kollektive Strahlen nicht mehr unterdrücken. Runde gab sich indes alle Mühe, ernst und staatstragend in die Kamaras zu blicken. Als erster linker Sozialdemokrat und Rotgrün-Freund an der Spitze des Stadtstaates hat er nun, zwei Wochen nach der Bürgerschaftswahl, die schwere Aufgabe, eine Koalition mit Krista Sagers GAL nicht als Automatismus zu verkaufen.

„Das war keine Schwarzweiß- Entscheidung“, berichtete er aus den dreistündigen Beratungen im Landesvorstand. Auch mit der CDU sei eine Koalition „grundsätzlich möglich“ und sogar der „sicherere Weg“ gewesen. Dennoch habe die Verhandlungsdelegation sich für die Grünen ausgesprochen. Angesichts der „Zuspitzung von wirtschaftlichen und sozialen Problemen“ seien nun „zukunftsorientierte Antworten gefragt“. Und „Stabilität durch Dynamik“, „Innovation und Kreativität“ sieht Runde nicht bei der CDU.

Er hatte dem christdemokratischen Hoffnungsträger Ole von Beust eine große Koalition für den Fall angeboten, daß er seine Bonner Parteikollegen zu einer „kleinen Steuerreform“ bewegen kann. Doch „was Wolfgang Schäuble nicht gelungen ist, kann auch Ole von Beust nicht schaffen“.

Die grüne Promi-Frau Krista Sager läuft schon seit Tagen in Hochstimmung und mit Regierungsglitzern in den Augen durch die Hansestadt. Über die „richtige Entscheidung“ für Hamburg freute sie sich um so mehr, als sie „so eindeutig“ ausfiel. Daß 22 von 24 SPD-Landesvorstandsmitgliedern sich für die GAL aussprachen, ist in der Tat ein Ereignis. Noch vor vier Jahren wurde Rot- Grün-Gegner Voscherau mit knapper Mehrheit dazu genötigt.

Entsprechend gedemütigt und unwillig setzte er sich damals mit Sager, die er nicht leiden konnte, an einen Tisch. Doch nicht nur deshalb platzten die Verhandlungen: 1993 waren es nicht nur einzelne, sondern ein ganzes Feuchtgebiet voller Kröten, die Rotgrün im Wege standen. Inzwischen ist die Hafenstraße befriedet, die vierte Elbtunnelröhre bereits angebohrt, die Fläche für die Hafenerweiterung gerodet. Kurz: Viele der symbolischen grünen Widerstandsthemen sind erledigt.

Das ahnte auch die Hamburger Handelskammer und warnte tagelang weinerlich vor dem rot-grünen Untergang des hanseatischen Abendlandes. Doch der Wechsel liegt in der Luft; selbst die SPD ist zu einer Kurskorrekur bereit. Unter Voscherau haben die seit 40 Jahren regierenden SozialdemokratInnen in sechs Jahren 12 Prozent verloren und sind auf einem historischen Tiefstand von 36,4 Prozent angekommen.

Die Law-and-order-Sprüche des Henning Voscherau sind längst in den Schubladen verschwunden. Die SPD will sich wieder auf ihren politischen Schwerpunkt besinnen: soziale Gerechtigkeit. Wie die Grünen ist auch Ortwin Runde entschlossen, Staatsgelder zugunsten von Bildung, Jugendlichen und der benachteiligten Stadtteile umzuschichten. Beschäftigung soll in modernen Wirtschaftszweigen entstehen. Doch wie genau der Versuch aussehen soll, in Menschen statt in Beton zu investieren – darüber wird man sich heftig zanken.

„Arbeitsplätze haben nicht in jedem Fall Vorrang“, beharrt Sager-Intimus Willfried Maier auf der „ökologischen Zukunftsfähigkeit“ der Stadt. In parteiinternen Papieren formuliert die GAL den Ausstieg aus dem verrotteten Atommeiler Brunsbüttel als Knackpunkt. Auch weitere Anteile der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) wollen die Grünen wegen des energiepolitischen Einflusses nicht auf dem Altar der Geldnöte opfern.

Einig ist man sich hingegen mit Blick auf Bonn: Die Ablösung Helmut Kohls soll gelingen. Und für die große Wende will Hamburg strahlendes Vorbild sein. Deshalb dürfe Rot-Grün in Hamburg, anders als in NRW und Schleswig- Holstein, „kein Quälkram“ werden, sagte Runde. Er habe „eine verdammte Erwartungshaltung“, daß die Koalition mit der GAL „sauber startet“ und den „Wechsel in Bonn nicht gefährdet“.