Von der Not der Ausländer profitiert

■ Seit gestern steht in Augsburg ein Schlepper vor Gericht, der mindestens dreizehnmal Ausländer eingeschleust hat

Augsburg (taz) – Der Chef der Augsburger Staatsanwaltschaft, Jörg Hillinger, spricht von einem der wohl schwersten Fälle von bandenmäßigem Einschleusen von Ausländern in seinem Zuständigkeitsbereich. Seit gestern wird vor dem Landgericht Augsburg gegen einen 43jährigen Polizisten aus Asmar-Kumar in Afghanistan verhandelt, der im Herbst vergangenen Jahres verhaftet wurde. Dem Angeklagten Shirwali S. wird vorgeworfen, mindestens dreizehn Schleusertransporte vorbereitet und durchgeführt zu haben. Die Staatsanwaltschaft hält ihn des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern für schuldig.

Der Fall hatte für bundesweites Aufsehen gesorgt, als am 22. Oktober 1996 sechzehn frierende und abgemagerte Menschen, eingepfercht in einen Lkw, auf dem Autobahnrastplatz Augsburg-Ost entdeckt wurden. Ein Lkw-Fahrer war stutzig geworden und hatte die Polizei gerufen. Selbst erfahrene Polizisten und Staatsanwälte waren nach der Festnahme schockiert, als sie die bedauernswerte „Fracht“ des Schleusers entdeckten, der „die Not dieser Leute schamlos ausnutzte“, so Oberstaatsanwalt Hillinger. „Die Bedingungen, unter denen diese Ausländer kamen, sind kaum zu beschreiben. Sie wurden eingepfercht wie Vieh und dann über die Grenze gebracht.“ Nachdem zwei Exkomplizen des Angeklagten ausgepackt haben, glauben die Anklagevertreter, dem Beschuldigten mindestens dreizehn solcher Fahrten nachweisen zu können. In einer Reihe von Fällen konnten sogar die Miet-Lkw gefunden werden.

Eine Menge Geld hat den Ermittlern zufolge der Angeklagte mit den Schleuserfahrten verdient. Allein zwei Hilfskräften wurden für eine Fahrt 3.200 respektive 12.600 Mark bezahlt.

Bei der Oktoberfahrt vom vergangenen Jahr war Kommissar Zufall im Spiel. Statt des sonst üblichen Autobahnrastplatzes Vaterstetten mußte die Augsburger Raststätte angefahren werden, weil am „Stammplatz“ der Schleuser zufällig gerade eine Polizeiaktion lief. Und in Augsburg hatte ein Lkw-Lenker die verwahrlosten und kranken Afghanen entdeckt.

Viel Wirbel gab es um die Abschiebung dieser Menschen, und auch Oberstaatsanwalt Hillinger ließ keinen Zweifel daran, wo er die Prioritäten setzt: „Sicherlich stellt auch der Verstoß gegen das Ausländergesetz strafwürdiges Unrecht dar. Aber meine persönliche Einstellung ist die, daß ich vorwiegend an denen interessiert bin, die aus der Not dieser Menschen ein ganz mieses Geschäft machen.“ Mit der Verhaftung von Shirwali S. ist den Ermittlern nach bisherigen Erkenntnissen einer der größeren Fische ins Netz gegangen. Der große „Big Boß“ freilich – von allen nur „Doktor“ genannt – befindet sich nach wie vor auf freiem Fuß. Es heißt, der namentlich der Staatsanwaltschaft bekannte Drahtzieher halte sich in Budapest auf. Hillinger bestätigt diese Gerüchte. „Wir wissen, um wen es sich handelt, und wir sind auch bemüht, seiner habhaft zu werden.“ Doch daß die internationale Rechtshilfe funktioniert, will auch Hillinger nicht prophezeien.

Fraglich ist nun, ob die beiden Exkomplizen, die mehrere Schleuserfahrten durchgeführt haben, bei ihrer Aussage und damit bei ihrer Kronzeugenrolle bleiben. Es ist nämlich auch den Ermittlern und dem Gericht nicht verborgen geblieben, daß einem der zwei Hauptbelastungszeugen vom Gefängnisfriseur eine massive Drohung des Angeklagten übermittelt wurde. Klaus Wittmann