Aus dem Songbook des Jazzers

■ Wegweiser mit Repertoire: Ray Brown spielte im KITO

Er war einer der ganz großen Begleitmusiker des Jazz: Der Bassist Ray Brown spielte im „golden age“des modernen Jazz in den Gruppen von Dizzy Gillespie, Charlie Parker, Bud Powell und Frank Sinatra. Nun ist es seit vielen Jahren üblich, daß die alten Meister mit ihren jungen Lehrlingen und Gesellen eigene Bands bilden.

Art Blakeys „Jazz Messengers“war die erste dieser Talentschmieden, und Ray Browns Trio steht ganz in dieser Tradition. Aber nicht jeder gute Instrumentalist ist auch ein guter Bandleader, und so war es durchaus nicht selbstverständlich, daß der Auftritt des Ray Brown Trios am Dienstag abend im gut gefüllten KITO so angenehm und inspiriert sein würde.

Brown leitete den Schlagzeuger Greg Hutchinson und den Pianisten Geoff Keezer mit einer natürlichen, freundlichen Autorität. Natürlich war die im Jazztrio übliche Gewichtung etwas zugunsten des Bassisten verschoben: Neben den Soli spielte Brown auch viele Introduktionen und einige unbegleitete Miniaturen, aber statt sich offensichtlich in den Vordergrund zu spielen, gab er seinen Mitspielern viel Platz und forderte das Publikum mit fast rührenden Gesten dazu auf, den Solisten zu applaudieren.

Auch mit der Auswahl der gespielten Songs bewies Brown, daß er inzwischen weit mehr ist als ein begnadeter Sideman: Aus seinem immensen Repertoire mischte er ein Songbook mit einigen Klassikern wie „My Foolish Heart“oder „Georgia on my mind“vielen ebenso schönen, aber weniger bekannten Stücken von Komponisten wie John Coltrane, Michel Legrand, J. J. Johnson oder Henry Mancini. Selbst solch einen vermeintlich ausgeleierten Omaschlager wie „Dein ist mein ganzes Herz“verwandelten er und Pianist Keezer durch eine raffiniert gegen den Strich gebürstete Interpretation in eine fast destruktivistisch anmutende Jazzballade.

Auch wenn die gespielten Songs zum größten Teil aus der von den Neo-Klassizisten des Jazz durchpflügten Ära kam, hatte das Konzert nichts von deren dogmatischem Purismus. Eine funkige Introduktion war hier genauso möglich wie ein lateinamerikanisches Perkussionssolo, und alles wurde durch Browns warmen, gespannten Stil zusammengehalten. Geoff Keezer aber war die Entdeckung des Abends. Schon im nächsten Januar wird Keezer mit seinem eigenen Trio wieder im KITO auftreten, und man darf gespannt sein, ob der Meisterschüler auch ohne Brown so souverän spielen kann.

Wilfried Hippen