Wunder im Schatten des Bannfluchs

■ Queerfilm: Das 4. Schwul-Lesbische Filmfest zeigt vom 9. bis zum 15. Oktober Bremer Erstaufführungen

Mal ganz im Vertrauen. So von Cineast zu Cineast. Es ist doch eigentlich sehr schön, nun gut, vielleicht nicht unbedingt schön im Sinne von lieblich, aber doch begrüßenswert, daß unsere Gesellschaft Menschen an den Rand drängt, quält, verhöhnt, verspottet. Entweder sie gehen zugrunde oder sie erkämpfen sich ungeahnte Freiheiten gegenüber herrschenden Lebenskonzepten und machen ganz wunderbare Filme, seltsam, schräg, eben queer.

Die elf Filmprogramme, die unter diesem Titel auf dem Schwul-Lesbischen Filmfest allesamt zum ersten Mal in Bremen zu sehen sind, befriedigen denn auch zwei verschiedene Interessen. Sie thematisieren das Thema und stellen darüber hinaus aufregende Positionen des Independent Kinos dar.

Zum Beispiel der herrlich verdruckst-verklemmt-verschwiegene und bilderpralle „Madagascar Skin“. Alles dreht sich um Harry. Er ist eine anticharismatische Erscheinung mit Feuermal im Gesicht. Harry quält ein Grausen: zu sterben, ohne jemals liebevoll berührt worden zu sein. Denn auch die Schwulenszene ist brutal und kennt ihre Ausschlußgründe. Ein Feuermal ist ein solcher allemal.

An seinem Fluchtort – Meerlandschaft mit tanggetarnter Citroen-Ente – existieren nur Quallen, Damenschuhpaare und ein alter, ungebildeter aber muttergewitzter Mann ohne Feuermal, dafür aber mit Sonnentattoo auf respektabler Bierwampe ausgestattet. Bei der Angebotslage entscheidet sich Harry natürlich für die Bierwampe. Aus Not. Der Film wiederum entscheidet sich für ein Gutheißen solcher Entscheidungen aus Not. Außerdem macht er sich stark für Menschen in Sprachnot und schenkt ihnen als Ersatz eine blühende Bildersprache – very queer.

Weil Notentscheidungen und Sprachnot universal sind, und natürlich auch jede Heterobeziehung in Wahrheit so queer ist wie die von Harry und Wampe, nicht nur in „Harold and Maude“, ist Madagascar Skin ein Film für jederman.

Dies gilt natürlich für alle Filme des Festivals.

Als Teil einer reichen Homo-Filmfestival-Szene auch in Deutschland arbeiten die Organisatoren lustvoll der eigenen Abschaffung entgegen: Denn allmählich begreift natürlich auch die Filmindustrie, daß es sich auszahlt, den Bannfluch gegen gleichgeschlechtliche Liebesbeziehungen aufzuheben: Philadelphia, Beautiful thing, Happy together, etc. Bestes Indiz für die endlich erreichte Akzeptanz: Homosexualität okkupiert nicht mehr breit und fett als tragender Schluchzkonflikt das Zentrum eines Films, sondern nistet sich charmant und unauffällig an den Rändern ein. „Coming out-Filme langweilen heute“, hört man aus den Reihen des Auswahlkommitees. Schon ist es soweit, daß dem Kino 46 Homo-Filme von kommerziellen Kinos weggeschnappt werden, klagen die Organisatoren hocherfreut. Gegenbeispiele gibt's trotzdem natürlich zuhauf. Das Festival zeigt jedenfalls schwul-lesbische Beziehungen, einsame Damenschuhe und unter Tangbergen versteckte Autos. bk

Queer vom 9. bis 15. Oktober im Kino 46; Programm siehe kinotaz