Die Trendsetter an der Spree

■ Von der Werbeprovinz zur Agenturenmetropole Nummer eins

Was den Berliner Werbeagenturen früher fehlte, war der gute Ruf. Sie galten als „Schweinebauchbetriebe“, die fast ausschließlich für den regionalen Markt produzierten. Jetzt ist es umgekehrt: „Früher war Hamburg die attraktivste Stadt für junge Kreative, jetzt ist Berlin die Nummer 1“, so Sebastian Turner von der Werbeagentur Scholz & Friends. Er muß es wissen, zählt doch sein Büro nach einer aktuellen Rankingliste zu den drei kreativsten Agenturen in Deutschland. Zu verdanken sei das Aufstreben der Stadt unter anderem den großen Tüftlern im digitalen Bereich, die an der Spree mit Internet- und CD-ROM-Design besonders weit seien. Werbeaufträge für das Internet sind längst keine Ausnahme mehr.

Neben der Erschließung neuer Werbemedien ist vor allem das Trendsetting Grund für den Aufstieg Berlins. Mit seiner Werbekampagne für die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat Turner so viel Aufsehen erregt, daß Fachblätter darin eine Initialzündung für Berlin als Agenturstandort sahen.

Auch Agenturen wie Röntz & Partner oder MetaDesign mischen mittlerweile landesweit mit. So zählen Autofirmen, große Lebensmittelhersteller und Industrieunternehmen zu den Kunden. Die Umsätze sind beachtlich: Scholz & Friends beschäftigt mittlerweile 60 Mitarbeiter und fährt 70 Millionen Mark Jahreumsatz ein. Bei Röntz & Partner sind es immerhin 30 Millionen Mark bei 30 Mitarbeitern.

Aber auch bei den alteingesessenen Firmen tut sich etwas. Zehrte die Agentur Flaskamp fast dreißig Jahre lang von üppigen Aufträgen des Senats, versucht man sich in Zeiten knapper öffentlicher Kassen unter anderem in der Kunst der Veranstaltungsorganisation. Die Bürgerfeste des Bundespräsidenten im Schloß Bellevue waren dazu ein erster Schritt. Eine weitere alteingesessene Agentur, die 1927 gegründete Dorland, hat sich dem Agenturen- Netzwerk Grey angeschlossen und betreut mittlerweile Großkunden. Den zweistelligen Millionenetat einer bekannten großen deutschen Automarke konnte Dorland-Chef Hans Hansen erst vor kurzem an Land ziehen.

„Berlin hat gute Aussichten, die vierte Werbestadt in Deutschland zu werden“, prophezeit Scholz&Friends-Chef Turner. Einzige Bedingung für die Hire-and-fire- Branche: Es muß so viele Werbeagenturen geben, daß auch gefeuerte Texter oder Graphiker in der Stadt schnell wieder Fuß fassen können. Christine Berger