■ Daumenkino
: Das Tagebuch des Verführers

Ein Buch kursiert in den Hörsälen von Paris. Claire (Chiara Mastroianni) sieht es bei ihrer Banknachbarin, der Zufall spielt es ihr später zu. „Das Tagebuch des Verführers“, Sören Kierkegaards philosophische Anleitung zur zynischen Umgarnung des Weibes, leistet in der Filmadaption von Danièle Dutroux Erstaunliches.

Das Werk schafft Zufälle und Mißverständnisse: hier der bleiche Beau Grégoire (Melvil Poupaud), dem das Buch nur als I- Tüpfelchen zum ohnehin vorhandenen Sex-Appeal dient. Er verfährt erfolgreich nach dem Motto: Füttere die Demoiselles mit Ideen und Büchern, und sie werden hörig.

Auf der anderen Seite der glücklose Sébastien (Mathieu Almaric), der buchstabengetreu alle Phasen, die Kierkegaards „ästhetisches Experiment“ vorschreibt, ausprobiert und mitschreibt – vom „erotischen Sturmangriff“, der kläglich scheitert, bis zum geschminkten Auftritt im Damenunterrock – um bei der spröden Claire zu landen.

Und Claire? Nach der Buchlektüre verfällt die Psychologiestudentin folgerichtig dem Kaffeehaus-Charmeur Grégoire. Aus der lichten Alltagswelt der Univorlesungen taucht sie ein in dessen mysteriöses Ambiente. Eine düstere, mit Wandbehängen, schweren Möbeln und allerlei antikem Schnickschnack ausgestattete Pariser Wohnung. Hier wohnt Grégoire mit seiner exzentrischen Großmutter und hütet ein grausliches Geheimnis im Kühlschrank.

Auch die Figur des Kupplers darf nicht fehlen, ein Voyeur, der in seinem Wandschrank alchemistische Experimente mit verwesenden Ochsenschwänzen macht. Jean-Pierre Leaud als wunderlicher Exprofessor tritt auf und fuchtelt mit einem Revolver folgenlos herum.

Das Konzept „Lesen, verführt werden, weitergeben, verführen“ paßt natürlich bestens ins französische Intellektuellen- milieu, zu dem auch die Haßliebe zur Psychoanalyse gehört. Aber Dutroux, die selbst Erfahrungen mit der Verführung durch das bewußte Buch zugibt, unterläuft mit dem Film die manipulativen Absichten und vertauscht die Rollen.

Weshalb Chiara Mastroianni mit einer beeindruckenden Mischung aus somnambuler Trägheit und trotziger Reserve auch die Hauptrolle zukommt. „Was soll den bloß dieser ewige Donjuanismus“, fragt die von ihr gespielte Claire Conti, bevor sich die Filmerzählung wieder in den Untiefen einer phantastischen Kolportage verliert. Gudrun Holz

„Das Tagebuch des Verführers“.

Regie und Buch: Danièle Dutroux. Mit Chiara Mastroianni, Melvil Poupaud, Mathieu Almaric, Jean Pierre Leaud, u.a. F1995, 95 Min.