Šešeljs Triumph gefährdet Serbien

Wenn sich die radikalen Nationalisten durchsetzen, wäre ein neuer Krieg auf dem Balkan unausweichlich. Die möglichen Schauplätze sind Ostslawonien, Bosnien, Montenegro, Kosovo sowie Mazedonien  ■ Aus Split Erich Rathfelder

Das Bild mit der Torte ging um die Welt. Bei der Wahlfeier der Serbischen Radikalen Partei schnitt der Wahlsieger und Fast- Präsdient Serbiens, Vojislav Šešelj, eine Torte an. Auf ihr waren mit Schlagsahne und Schokolade die Umrisse Großserbiens aufgezeichnet. Großserbien zu errichten, dafür ist Šešelj mit seinen Tschetniktruppen in den Krieg gezogen. Das Bild vom Wahlabend ist ein Symbol dafür. Der Anschnitt der Torte dagegen wurde nicht mehr beachtet. Großserbien war danach zerstückelt.

Dies könnte jedoch das eigentliche Symbol sein, wenn Šešelj tatsächlich an die Macht kommt. Mit dem Erfolg des „Faschisten“ – so US-Emissär Robert Gelbard – wird Serbien in eine noch schwierigere Lage gebracht, als sie es ohnehin schon ist. Die Wunschträume des Vojislav Šešelj könnten zu einer gefährlichen Zuspitzung der Lage auf dem Balkan führen. Und selbst zu einem Bürgerkrieg in Serbien.

Schon jetzt, allein nur angesichts des Achtungserfolges des Rechtsradikalen, sind Auswirkungen in Bosnien, Ostslawonien, Montenegro, Kosovo und Makedonien spürbar. Und auch in der internationalen Gemeinschaft sind selbst jene, die Serbien und dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević bisher die Stange hielten, vorsichtig geworden. Die ersten Stellungnahmen aus Moskau und Athen sind in ihrer Zurückhaltung bemerkenswert.

Šešelj hat bisher die Reintegration Ostslawoniens nach Kroatien abgelehnt. Er hält trotz des Vertrages von Erdut vom Dezember 1995 weiter an der Auffassung fest, Ostslawonien sei Teil der serbischen Länder. Als er im Oktober 1992 seine Tschetniktruppen ein Jahr nach der Eroberung Vukovars durch die Ruinen der Stadt marschieren ließ, schwor er, diese Stadt für Serbien zu halten. Und hat seither seine Meinung darüber nicht geändert.

Würde Šešelj Prädident Serbiens werden und würde die friedliche Reintegration Ostslawoniens nach Kroatien behindert, bräuchte sich wohl auch der kroatische Präsident Franjo Tudjman nicht mehr an die gegenüber Milošević eingegangenen Verpflichtungen gebunden fühlen. Die internationale Gemeinschaft würde im Falle einer Militäraktion den kroatischen Truppen freie Hand geben müssen. Welches Land wollte sich für ein faschistisches Serbien einsetzen?

Auch in Bosnien-Herzegowina liegen die Dinge ähnlich. Die bosnische Armee, die ohnehin nur auf den Befehl zur Rückeroberung der serbisch kontrollierten Gebiete wartet, hätte bei einem Scheitern des Dayton-Abkommens von internationaler Seite grünes Licht. Šešelj hat den Vertrag von Dayton bisher nicht akzeptiert. Weiterhin träumt er davon, die bis 1995 serbisch besetzten Gebiete in Kroatien und in Bosnien zurückzugewinnen. Ein neuer Krieg in Bosnien wäre mit ihm als Präsidenten Serbiens unausweichlich.

Das weiß auch die Öffentlichkeit in Montenegro. Zwar konnte sich hier die national-demokratische Opposition noch nicht völlig gegen die Anhänger von Milošević durchsetzen, Šešelj jedoch hat im „Schwarzen Gebirge“ keine Chance. Der Erfolg Šešeljs in Serbien hat schon jetzt jenen Kräften in Montenegro Auftrieb gegeben, die aus der Föderation mit Serbien, aus Jugoslawien, austreten möchten. Das Konzept eines (Rest-)Jugoslawien war bisher in Montenegro noch zähneknirschend akzeptiert, Šešeljs Traum von Großserbien und die damit verbundene Kriegsgefahr aber nicht.

Und der Kosovo? Undenkbar, daß sich die albanische Bevölkerung mit einem Tschetnik-Serbien arrangieren würde. Schon jetzt gibt es Anzeichen dafür, daß die Geduld der albanischen Bevölkerung am Ende ist. Sie will die ihnen von Milošević aufgedrückte Apartheid-Situation nicht länger ertragen. Eine neue Generation ist angetreten. Ein großer Teil der während der Unruhen in Albanien verschwundenen Waffen sind in den Kosovo gelangt. Und diese neue Generation wird – wie die letzten Demonstrationen zeigen – nicht mehr mit Terror allein zum Schweigen zu bringen sein. Šešeljs Sieg in Serbien würde zu einem Volksaufstand im Kosovo führen. Dies würde Makedonien, wo eine große albanische Minderheit lebt, in eine Zerreißprobe führen.

Schon zu Beginn des Krieges in Slowenien und Kroatien im Sommer 1991 haben Politiker und Intellektuelle im ehemaligen Jugoslawien prognostiziert, der Krieg würde sich letztlich gegen Serbien wenden. Der Krieg habe in Serbien begonnen und werde schließlich in einem serbischen Bürgerkrieg münden. Stehen bald Milošević- Polizeitruppen gegen Truppen des Vojislav Šešelj? Solche Szenarien können auf Dauer nicht ausgeschlossen werden. Wahrscheinlicher jedoch ist, daß Serbien auf absehbare Zeit innenpolitisch handlungsunfähig wird und sich die politischen Kräfte in Serbien zum Vorteil der Nachbarnationen gegenseitig lähmen. Es wäre nicht überraschend, wenn die demokratischen Kräfte Serbiens sich über kurz und lang mit den Sozialisten Milošević' arrangieren, um die Machtübernahme des Faschismus in Serbien zu verhindern.