Belebung der Umgebung oder Aus für kleine Geschäfte?

■ Bei der Eröffnung des Gesundbrunnen-Centers im Wedding war von einer Wiederbelebung der Badstraße die Rede. Doch die Architektur spricht eine andere Sprache. Einzelhändler fürchten, daß bald jedes dritte Geschäft aufgeben muß

Hoppla, wir kommen. Ohne Rücksicht auf Verluste bahnt sich eine vierköpfige Kleinfamilie – jeder einen Karton voller Unterhaltungselektronik unterm Arm – den Weg vom „ProMarkt“ im Untergeschoß hoch zum Parkdeck. Die einkaufswütige Menge im Gesundbrunnen-Center erträgt das Rempeln und Stoßen mit stoischer Gelassenheit. Als das größte Weddinger Einkaufszentrum mit 107 Geschäften auf insgesamt 25.000 Quadratmetern am 30. September eröffnete, herrschte Nahkampfatmosphäre im Berliner Schnäppchenkrieg. Bereits am ersten Tag hatten 150.000 Kauflustige dem architektonischen Raumschiff am S-Bahnhof Gesundbrunnen ihren Besuch abgestattet. Doch während es rund um das von der Hamburger Firma ECE betriebene Einkaufszentrum nur so wimmelte, waren die Geschäfte in der angrenzenden Badstraße ausgestorben wie seit langem nicht mehr.

Obwohl der Weddinger Bürgermeister Hans Nisblé (SPD) ganz und gar dem Center-Fieber verfallen ist und der Badstraße, dem ehemaligen „Kurfürstendamm des Nordens“, eine glänzende Zukunft verspricht, sind andere skeptischer. Durch das Gesundbrunnen- Center, prophezeit Nils Busch-Petersen, der Geschäftsführer des Berliner Einzelhandelsverbandes, bekämen viele Geschäftsleute in der Brunnen-, Bad- oder Seestraße Schwierigkeiten.

Daß das Weddinger Einkaufscenter mit seiner 1,3 Kilometern Schaufensterfläche die Kundschaft erst nach erfolgtem Einkauf wieder in die nähere Umgebung – oder das Parkdeck – entläßt, ist die Aufgabe der Architektur. Wie einen überdimensionierten Staubsauger haben die Hamburger Architekten Jost Hering und Manfred Stanek das Center in die städtebauliche Umgebung gesetzt. Während sich das Gehäuse zwischen der Kleinen Behmstraße und der S-Bahntrasse bis hin zur Swinemünder Brücke erstreckt, wartet am Ausgang der U- und S-Bahnhofs Gesundbrunnen das überdimensionierte Eingangsportal wie ein riesiger Saugkopf auf die Menschenmenge. Die Inwendigkeit einer solchen Architektur wird in der kalten, steinernen Fassadengestaltung an der Kleinen Behmstraße fortgesetzt. Ganz bewußt haben die Center-Architekten darauf verzichtet, auch straßenseitig Einzelhändler im Center unterzubringen. Nur mit Geschäften auch außerhalb des Centers wäre aber ein städtebaulicher Anschluß an die Badstraße überhaupt möglich gewesen. Statt dessen wird die Kleine Behmstraße nun als Zubringer für das Center-eigene Parkhaus mit über 1.000 Stellplätzen reduziert.

Gerne verkauft ECE-Manager Joachim Tenkhoff das Einzelhandelskonzept der Hamburger Firma als Beitrag innerstädtischer Wiederbelebung. Doch Belebung findet allenfalls in den Bilanzen des Projektentwicklers statt, der in Berlin außer dem Gesundbrunnen-Center das Ring-Center in der Frankfurter Allee oder das Linden-Center in Hohenschönhausen betreibt. Über vier Prozent Umsatzsteigerung hatte der Konzern, der bundesweit 39 Einkaufszentren betreibt, im vergangenen Jahr zu verzeichnen. Im gleichen Zeitraum ging der Umsatz der Berliner Einzelhändler um sieben Prozent zurück. Erfolg hat der Branchenführer in Sachen Shopping-Center vor allem deshalb, weil er den innerstädtischen Standortvorteil – allein das Gesundbrunnen-Center hat ein Einzugsgebiet von 400.000 Berlinern – mit der gleichzeitigen Ausschaltung der örtlichen Konkurrenz zu verbinden weiß.

Wie das funktioniert, zeigt nicht zuletzt die ECE-Planung für das Bahnhofscenter in der Spandauer Altstadt. Der Skepsis der Spandauer Einzelhändler, die allein wegen des Havelparks in Dallgow Umsatzeinbußen bis zu fünfzig Prozent zu verbuchen hatten, begegnete die ECE zunächst mit dem Versprechen, das geplante Einkaufscenter am Güterbahnhof an der Klosterstraße als Brückenschlag zur benachbarten Altstadt und zur Wilhelmstadt zu entwickeln. Je weiter freilich die Planungen gediehen, desto weniger war von dieser Brückenfunktion die Rede.

Im Gegenteil: Laut Spandaus Baustadtrat Thomas Scheunemann (SPD) seien an der Klosterstraße jetzt nur noch Schaufenster in den Arkaden vorgesehen. Der Eingang des ECE-Centers sei auf der anderen Seite des Bahnhgeländes, das sich nun nicht mehr als Brücke, sondern als Barriere zu den Konkurrenzstandorten erweist, in Richtung Brunsbütteler Damm gelegt worden. Entsprechend aufgeregt ist deshalb die Arbeitsgemeinschaft der Altstadthändler. Sie haben im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens nun Widerspruch eingelegt.

Für Nils Busch-Petersen, den Geschäftsführer des Berliner Einzelhandelsverbandes, sind die wohlklingenden Worte von der Belebung des Handels in der Nähe der diversen Einkaufszentren ohnehin nur Schönfärberei. Er befürchet vielmehr ein bisher nie erlebtes Ladensterben. Bis zum Jahr 2000, so lautet die düstere Prognose des Einzelhandelsverbandes, würde fast jedes achte Geschäft aufgeben müssen. Der Grund: Bis dahin habe Berlin eine Einzelhandelsfläche von vier Millionen Quadratmeter vorzuweisen. Das, so Busch-Petersen, seien mindestens 15 Prozent zuviel.

Noch düsterer sehen die Prognosen für das Jahr 2010 aus. Einer Einzelhandelsstudie zufolge soll bis dahin sogar jedes dritte Ladengeschäft verschwunden sein. Kein Wunder. Bereits heute, resümiert die Industrie- und Handelskammer, weise Berlin bereits die im FNP für das Jahr 2010 errechnete Einzelhandelsfläche aus.

Während die Brandenburger Landesregierung bereits vor einigen Jahren die Zahl der Einkaufszentren auf der grünen Wiese auf elf begrenzt hat, setzte der Senat bisher auf Einzelfallprüfung. Auf Druck der Einzelhändler soll die Landesregierung bis zum 1. Dezember nun aber dem Abgeordnetenhaus mitteilen, wie man den Wildwuchs der innerstädtischen Einkaufszentren verhindern und die Einzelhandelsstruktur aufrechterhalten will. Uwe Rada