„Todesstoß für die Kreuzberger Nahversorgung“

In Kreuzberg regt sich Widerstand gegen das geplante Botag-Center an der Cuvrystraße. Markthallen-Betreiber fürchten Aus. Gewerbetreibende, Anwohner und Bündnisgrüne wollen Einkaufszentrum kippen. SPD und CDU dagegen wollen das 20.000 Quadratmeter große Center  ■ Von Uwe Rada

Herbert Schulze ist nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen. Wenn die Rede auf das Botag-Center kommt, regt sich aber Widerstand in ihm. „Falls das Einkaufszentrum in der Cuvrystraße gebaut wird“, sagt Schulze, „bedeutet das nicht nur das Aus für die Markthalle in der Eisenbahnstraße, sondern wirkt sich auch auf die Einzelhandelsstruktur in SO 36 aus.“ Ähnlich sieht das die „Anwohnergruppe Lausitzer Platz“. Die Entscheidung für das Botag-Center sei eine „Entscheidung gegen die elementaren Lebensinteressen der Anwohnerinnen und Anwohner im südöstlichen Kreuzberg“, heißt es auf einem Flugblatt. Anwohner und Händler müßten sich deshalb gemeinsam wehren.

Der Name Botag-Center ist in Kreuzberg mittlerweile zum Reizwort geworden. Nachdem die Botag, die das Grundstück für 20 Millionen Mark erworben hatte, die bereits mit dem Senat abgestimmten Pläne für ein Kreuzberger Technologiezentrum (KTC) auf dem Gewerbegelände zwischen Schlesischer Straße, Cuvrystraße und Spree verworfen hatte, sollen nun auf 20.000 Quadratmetern Verkaufsfläche ein SB-Markt, ein Baumarkt und Einzelhandelsflächen entstehen. Geplant sind im Rahmen des 100-Millionen-Mark- Projekts außerdem 700 Parkplätze sowie der Bau freifinanzierter Wohnungen am Spreeufer. Damit soll, sagt Botag-Prokurist Christian Hollmann, dem „von der Wende hart getroffenen Kreuzberger Ortsteil“ der Aufschwung zugute kommen. Vor allem der Bau des Treptower Park Centers an der Elsenstraße, gibt sich Hollmann ganz als Retter Kreuzbergs, drohe Kaufkraft aus dem Kiez abwandern zu lassen. „Unseres Erachtens“, heißt es bei der Botag, bedeute der Bau des Treptower Centers „den Tod für das südöstliche Kreuzberg“.

Scheinheilig findet diese Argumentation die Anwohnergruppe am Lausitzer Platz: „Stimmt dies, dann bedeuten zwei Center statt einem Center: Der Einzelhandel im südöstlichen Kreuzberg stirbt doppelt so schnell“, machen die Anwohner nun gegen das Botag- Center mobil. Doch nicht nur sie sind vom Botag-Vorhaben an der Cuvrystraße Ecke Schlesische Straße überrumpelt worden. Auch der Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz ist vom Eiltempo, mit dem der von der Botag versprochene Aufschwung vollzogen werden soll, überrascht. Am 24. September hatten SPD und CDU die Bündnisgrünen in der Bezirksverordnetenversammlung überstimmt und dem Kreuzberger Bezirksamt den Auftrag erteilt, einen Vorhaben- und Erschließungsplan für das umstrittene Center auf den Weg zu bringen. „Ein solches Verfahren ist im Vergleich zum herkömmlichen Bebauungsplanverfahren nicht nur schneller, sondern schränkt auch die Bürgerbeteiligung vor Ort erheblich ein“, ärgert sich Franz Schulz, der im Falle eines tatsächlichen Baus den „Todesstoß für die Nahversorgung“ fürchtet. Statt dessen plädiert der bündnisgrüne Bürgermeister weiterhin für ein Technologiezentrum. „Wir brauchen hier an der Spree gewerbliche Arbeitsplätze.“

Doch die sind mit der Botag nicht mehr zu haben. Der Grund: Die Gesellschaft hat sich in Berlin mit ihren Fondsfinanzierungen gehörig verspekuliert. So wurde nicht nur der ursprüngliche Plan des Technologiezentrums mangels Kapitalanleger aufgegeben. Auch das von der Botag auf der anderen Seite der Spree geplante Internationale Designzentrum (IDZ) im ehemaligen Kühlhaus des Osthafens ist geplatzt. „Nunmehr“, so heißt es im Geschäftsbericht 1996 der Botag, „sollen die Flächen an 70 bis 80 Fachhändler vermietet werden, die unter dem Thema ,Wohnen und Arbeiten‘ dem Endverbraucher ihre Waren anbieten.“ Trotzdem waren laut Geschäftsbericht 1996 vom urspünglich anvisierten Investitionsvolumen in Friedrichshain in Höhe von 211 Millionen Mark erst 80 Millionen durch Anleger gezeichnet.

Offenbar um ein Schlingern zu verhindern, begab sich die Botag Ende 1996 unter die Obhut der Bonner IVG Immobilien GmbH, die der Botag ein zinsloses Darlehen in Höhe von 25 Millionen gewährte. Dieses Darlehen soll, so sieht es die Vereinbarung zwischen IVG und Botag vor, „im Laufe von fünf Jahren in Abhängigkeit von 5 Immobilienprojekten ganz oder teilweise in Kapitalrücklage umgewandelt“ werden. Die Zeit drängt also. Sollte man sich im Zusammenhang mit dem Kreuzberger Einkaufszentrum auf die veränderten Nutzungsvorstellungen einigen können, schrieb Botag-Prokurist Christian Hollmann am 28. Juli dieses Jahres an Kreuzbergs Bürgermeister Franz Schulz, „müßte man diese im zweiten Schritt städtebaulich umsetzen und dem Senat gegenüber begründen, um anschließend schnellstmöglich Baurecht schaffen zu können“. Baubeginn solle bereits im Herbst 1998 sein.

Mittlerweile glaubt auch Markthallenhändler Herbert Schulze nicht mehr daran, daß in Sachen Botag-Center alles mit rechten Dingen zugeht. Vor allem der überraschende Zusammenschluß von SPD und CDU verwundert ihn. Schulze weiß sich dabei einig mit der Markthallen-Verwaltungsgenossenschaft, die nicht nur die Halle in der Eisenbahnstraße, sondern auch die Marheinekehalle in Kreuzberg 61 und die Arminiushalle in Moabit betreibt. „Wir hatten Gelegenheit, am 17. 9. 1997 in der Planungsausschußsitzung des Bezirks unsere Bedenken darzulegen“, heißt es in einem Schreiben der Genossenschaft an die bündnisgrüne Baupolitikerin Barbara Oesterheld. „Nach langer Diskussion allerdings wurde vom SPD- Vertreter ein vorbereitetes Antragspapier vorgelegt, das verwunderlicherweise in seinem Wortlaut hundertprozentig dem Antrag der Botag entsprach.“

Daß mit der Abstimmung in der BVV eine Woche nach der Ausschußsitzung das letzte Wort gesprochen ist, glauben aber auch die Markthallenhändler noch nicht. Sie verweisen unter anderem auf eine Stellungnahme der Industrie- und Handelskammer, in der das Botag-Center eher skeptisch betrachtet wird. Auch für den bündnisgrünen Bürgermeister Franz Schulz ist noch lange nichts entschieden. Schulz' Optimismus rührt neben den begonnenen Protesten vor allem aus der bisher ablehnenden Haltung seitens des Wirtschaftssenators Elmar Pieroth (CDU), der dem Vorhaben- und Erschließungsplan zustimmen muß. Pieroths Verwaltung hatte im September an die Botag geschrieben: „Der von Ihnen vorgetragene Wunsch, statt (des Technologiezentrums, d.Red.) großflächigen Einzelhandel anzusiedeln, findet nicht die Zustimmung der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe.“ Die Begründung: Laut einer aktuellen Studie der Industrie- und Handelskammer sei bereits heute die erst für das Jahr 2010 im Flächennutzungsplan vorgesehene Einzelhandelsfläche vorhanden.

Auf den Senat wollen sich die Kreuzberger Einzelhändler und die Anwohnergruppe allerdings nicht verlassen. Sie planen nun eine großangelegte Plakataktion, um die Öffentlichkeit gegen das Center zu mobilisieren. Außerdem soll auf einer Versammlung der Gewerbetreibenden am 23. Oktober um 19 Uhr in der Emmaus-Gemeinde das weitere Vorgehen abgestimmt werden.