■ Contra: Anti-Polizeistaats-Rhetorik wird Europol nicht gerecht
: Kein europäisches FBI

Keine Frage, die neue europäische Polizeibehörde weist bedenkliche Lücken auf – im Datenschutz, in der parlamentarischen Kontrolle und im gerichtlichen Rechtsschutz. Mit diesen Schwachstellen vor Augen ist es natürlich leicht, das Bild eines „europäischen Polizeistaats“ zu malen, wie es viele BürgerrechtlerInnen jetzt tun.

Dabei sollte allerdings nicht der Eindruck erweckt werden, in Deutschland sei alles anders und besser. Auch bei uns werden ZeugInnen und Opfer von Straftaten in polizeilichen Datensammlungen erfaßt. Und in gewissem Rahmen ist das wohl auch notwendig, wenn man der Polizei den Gebrauch von EDV nicht ganz verbieten will. Auch in Deutschland funktioniert die Kontrolle der Polizei längst nicht so perfekt, wie es die Europol-Kritik unausgesprochen unterstellt. Auch im deutschen Polizeirecht verschwimmt die Grenze zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung immer mehr. Und die im deutschen Recht theoretisch starke Rolle der Staatsanwaltschaft gegenüber der Polizei ist in der Praxis längst ausgehöhlt.

Dagegen dürfte die Kontrolle von Europol nicht ganz so schlecht sein, wie sie heute oft dargestellt wird. Das gemeinsame Kontrollgremium der nationalen Datenschützer wird gerichtsähnliche Befugnisse haben und damit auch Zähne zeigen können. Daß es seine Befugnisse auch wahrnimmt, dafür ist dann auch die europäische Öffentlichkeit mitverantwortlich.

Richtig ist allerdings, daß die Sensibilität für Datenschutzfragen in Deutschland wohl noch immer höher ist als in vielen anderen EU- Staaten. Nach dem verbreiteten Protest gegen die Volkszählungsversuche 1983 und 1987 ist das vom Bundesverfassungsgericht anerkannte „Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“ in der deutschen Rechtskultur ziemlich fest verankert. Doch statt nur über das mangelnde Datenschutzbewußtsein der europäischen Partner zu klagen, sollte in der europäischen Zusammenarbeit auch eine Chance gesehen werden, für deutsche Standards zu werben und diese zu exportieren.

Auch die heftig kritisierte Zentralisierung der Polizeizusammenarbeit ist nicht nur negativ zu sehen. Ein zentrales Europol-Amt ist immer noch besser zu kontrollieren als die von den Grünen vorgeschlagene dezentrale und direkte Kooperation der nationalen Polizeibehörden.

Der größte Schutz vor Europol- Exzessen ist aber gerade seine relativ frei schwebende Lage im europäischen Koordinatensystem. Keine europäische Regierung kann Europol als Instrument für ihre exklusiven Machtinteressen benutzen. Im Gegenteil achten die Sicherheitsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten mit Argusaugen darauf, daß Europol nicht zu mächtig wird.

So ist es kein Zufall, daß in Deutschland zwar der Kanzler und der Justizminister eigene Ermittlungsbefugnisse für Europol fordern, während gleichzeitig die für die Polizei zuständigen Innenminister von Bund und Ländern hierfür wenig Verständnis zeigen. Sie wissen: Die deutschen Polizeibehörden wollen keine Europolizei über sich haben.

Solange die nationalen Apparate-Interessen noch so mächtig sind, dürfte wohl eher das Funktionieren von Europol in Frage stehen, als daß man sich vor einem entstehenden europäischen Polizeistaat fürchten müßte.

Um zu zeigen, daß aber auch Europas BürgerInnen wachsam sind, sollte der Bundestag zumindest das Immunitätsprotokoll ablehnen, das den Euroermittlern pauschale Gerichtsfreiheit verspricht. Für eine darüber hinausgehende Anti-Polizeistaats-Rhetorik besteht derzeit allerdings noch keine Rechtfertigung. Christian Rath