Interview
: „Entführung ist ein Risiko der Moderne“

■ Monika Frommel lehrt an der Universität Kiel Sanktionenrecht und Kriminologie

Am 14. September wurde Matthias Hintze gekidnappt. Seine möglichen Entführer kommen aus Rußland und sind nach deutschem Recht vorbestraft. Sergej S. wurde wegen Raubes, Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Wjatscheslaw O. bekam wegen Hehlerei drei Jahre.

taz: Nicht nur Prominente und Millionäre können Opfer von Entführern werden, sondern, wie in Brandenburg geschehen, auch unauffällige Dorfbewohner, die ihr Auto vor Diebstahl retten wollen. Kann man sich vor einem solchen Verbrechen schützen?

Monika Frommel: Nein, bei einer Entführung suchen sich die Täter ihre Opfer gewöhnlich rational und klug aus. Solch ein Fall, daß jemand entführt wird, weil er die Täter bei einer anderen Tat ertappt, sind sehr selten. In einer solchen Situation hat man als Opfer einer Entführung kaum eine Chance, sie zu verhindern. Solche Entführungen würde ich als ein Risiko der Moderne bezeichnen.

Die möglichen Täter aus Brandenburg sind illegal aus Rußland eingereist. Beide waren vor drei Jahren in Deutschland wegen Raubes mit Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung verurteilt und nach einer Teilstrafe abgeschoben worden...

Daran sieht man, daß eine Ausweisung von Straftätern in so seltenen Einzelfällen nichts hilft. Ein Risiko bleibt. Man muß sehen, daß es einzelne ausländische Täter gibt, die hochgefährlich sind. So, wie es auch deutsche gefährliche einzelne Täter gibt.

Halten Sie eine Abschiebung von Ausländern, die wegen schwerer Delikte verurteilt wurden, überhaupt für sinnvoll?

Eine Inhaftierung in Deutschland über die volle Zeit hinweg ist dann sinnvoll, wenn man nicht weiß, was mit den Abgeschobenen im Heimatland passiert, wenn nicht klar ist, ob sie dort die Reststrafe überhaupt absitzen müssen.

Wie beurteilen Sie die Forderung von Politikern, ausländische Straftäter auf alle Fälle abzuschieben, damit sie dem deutschen Steuerzahler während ihrer Gefängniszeit nicht zur Last fallen?

Diese populistische Forderung mag bei Ladendiebstahl als Kostenargument sinnvoll sein, bei schwerer Kriminalität aber muß es darauf ankommen, ob die Täter im Heimatland auch ins Gefängnis kommen. Ich denke, daß die Situation in Rußland diesbezüglich sehr schwierig zu beurteilen ist.

Halten Sie angesichts der Entführung und des Todes von Matthias Hintze eine Strafverschärfung für notwendig?

Solche Forderung ist überhaupt nicht angebracht, da der Tod des Opfers möglicherweise als Mord gewertet werden kann, und darauf steht ohnehin eine lebenslange Freiheitsstrafe. Bei Entführungen setzt die Polizei alles daran, sie aufzuklären. Eine Entführung wie in Brandenburg ist extrem selten. Man wird solch brutale Verbrechen nicht verhindern können, aber man wird alles daran setzen, sie aufzuklären, damit keine Beunruhigung in der Bevölkerung geschürt wird. Interview: Annette Rogalla