Großer Lauschangriff rührt zu Tränen

Emotional debattierten die Abgeordneten im Bundestag über den Großen Lauschangriff. Die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger spricht von einem „schwarzen Tag für die liberale Rechtspolitik“  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger meldet sich im Bundestag zu einer Kurzintervention. Einige Worte nur – dann bricht ihre Stimme. Die Debatte über den geplanten Großen Lauschangriff sei „ein schwarzer Tag für die liberale Rechtspolitik“, sagt die FDP-Politikerin unter Tränen.

Rupert Scholz (CDU) vermag die persönliche Erschütterung der ehemaligen Justizministerin nicht zu rühren: „Daß diejenigen in Ihrer Partei, die diesen Kompromiß miterarbeitet haben, keine Liberalen seien, vermag ich schwer zu erkennen“, kontert er kühl. Da wird in den Reihen der Union beifällig und zufrieden mit den Köpfen genickt. Die Verfassungsänderung, die das Abhören von Wohnungen Verdächtiger ermöglichen soll, fügt sich nahtlos in das Weltbild der konservativen Parlamentarier.

Den Sozialdemokraten, die ungewöhnlich still auf ihren Stühlen sitzen, hat ihre Verhandlungsbereitschaft wenig genutzt. Rupert Scholz erwähnt die Einigung der großen Parteien nur ganz am Rande. Der Hauptteil seiner Rede ist ein Angriff auf den sicherheitspolitischen Kurs der SPD: „Nimmt man die kriminalpolitischen Positionen von SPD und Grünen zusammen, kann einem um die Sicherheit in Deutschland nur angst und bange werden.“

Ist Otto Schily, dem Verhandlungsführer der SPD, gestern deutlich geworden, mit wem er sich da auf eine Änderung des Grundgesetzes geeinigt hat? Das Ergebnis der Verhandlungen nennt er „vernünftig“. Organisierte Kriminalität sei kein Kinderspiel. Scholz' Wortwahl einer „Überwachung von Gangsterwohnungen“ sei jedoch verfehlt. Es gehe um Wohnungen, in denen „mutmaßlich ein Beschuldigter“ sei, und der sei eben auch kein Gangster, sondern ein Beschuldigter: „So geht das in einem Rechtsstaat zu und nicht anders.“

Nicht anders? Auch Innenminister Manfred Kanther und Erwin Marschewski (CDU) sprechen von Gangsterwohnungen. Deutlich, fast genüßlich, betonen sie das Wort – gleich mehrfach. Otto Schily, sonst ein Meister prägnanter, klarer Sätze, wirkt nervös. Die Bündnisgrüne Kerstin Müller hat ihre Rede kaum begonnen, da meldet er sich auch schon mit einer Zwischenfrage zu Wort. An der Antwort scheint er kaum interessiert zu sein: „Sie müssen, glaube ich, noch stehen bleiben“, merkt die grüne Fraktionssprecherin an, als Schily sich gleich wieder hinsetzen will.

Kerstin Müller erinnert daran, daß die Unverletzlichkeit der Wohnungen damals auch wegen der deutschen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus ins Grundgesetz aufgenommen worden sei. Sie verweist darauf, daß es bei dem neuen Gesetz nicht um Prävention gehe, sondern nur um Ermittlungshilfe für bereits begangene Verbrechen. Zur Gefahrenabwehr, etwa bei einer Geiselnahme, darf die Polizei schon jetzt Wohnungen abhören.

Mit der Möglichkeit, auch in Arztpraxen oder Redaktionen abzuhören, werde außerdem das Zeugnisverweigerungsrecht „faktisch unterlaufen“. Gegen das geplante Gesetz spricht auch Uwe- Jens Heuer von der PDS: „Je mehr sich der schlankere Staat seiner sozialen Verantwortung entzieht, desto mehr läßt er im inneren und nach außen die Muskeln spielen.“

Burkhard Hirsch (FDP) sieht offenbar sein Lebenswerk in Frage gestellt. Ein Staat, der sich bei bloßem Verdacht nicht scheue, sogar das vertraute Gespräch zwischen Ehepartnern abzuhören, „ist nicht mehr der Rechtsstaat, für den ich 50 Jahre eingetreten bin“, sagt er in einer Kurzintervention. Dann zeigt er direkt auf Otto Schily: „Wer Sicherheit mit Freiheit erkaufen will, wird beides verlieren.“

Schily wirkt angeschlagen. Das zeigt sich in der Gebärdensprache mehr noch als in seinen Worten: „Wir sollten kritische Einwände nicht einfach abtun“, erwidert er und hebt beide Hände bis in die Höhe seines Gesichts – als wolle er kapitulieren. Aber natürlich hat sich an seiner grundsätzlichen Position nichts geändert. Die Mehrheit im Bundestag für den Großen Lauschangriff scheint gesichert.