Moralrumpelkammer

■ „Rashomon“im Theater im Zimmer

Es war einmal ein dunkler Wald, in dem allerlei seltsame Gestalten herumschlichen. Ein Samurai führte seine Frau an der Leine spazieren. Ein Räuber überfiel die beiden und vergewaltigte die Frau. Ein diebischer Holzfäller beobachtete das Ganze, und nun ist der Samurai tot. Wer hat ihn auf dem Gewissen? Vor Gericht zieht jeder eine andere Version aus der Tasche.

Das Merkwürdige an Rashomon ist, daß die Verdächtigen zwar lügen, um sich zu entlasten – aber nicht vom Mordverdacht. Alle wollen die Tat begangen haben in dieser Geschichte, deren Filmversion – basierend auf zwei Erzählungen des Japaners Ryunosuke Akutagawa – 1951 Akira Kurosawas Weltruhm begründete. Das Kriminalmärchen spielt nämlich im Japan des 11. Jahrhunderts, und so stehen andere Werte auf dem Spiel: Ehre, Treue, Tugend und was die Moralrumpelkammer mehr hergibt.

Vielleicht war der dreifache Salto – von der Erzählung über den Film zur deutschen Bühnenfassung – für die Geschichte zuviel. Als am Donnerstag Ina-Kathrin Korffs Inszenierung im Theater im Zimmer Premiere feierte, ging die zeiten- und weltenübergreifende Aussage von der Relativität der Wahrheit jedenfalls verloren.

Ein Mönch erinnert sich an eine Gerichtsverhandlung, in der sich die Beteiligten an den Mord erinnern – auch der tote Samurai ist mit Hilfe einer Geisterbeschwörerin dabei. Von diesen drei Ebenen hatte sich Korffs Inszenierung nur einer verschrieben: Das grausige Geschehen in der Botanik wird in vier Variationen gespielt. Der Rest bleibt Erzählung, und selbst schnelle Szenenwechsel können der Märchenstunde nicht richtig aus dem Sofa helfen. Eher schon Franz-Josef Dieken als Räuber Tajomaru, der auch im Sitzen sehr schön fies sein kann. Nur waren sie eigentlich zu viert im Wald unterwegs, vor Gericht gar zu siebt. Da aber nur Dieken sein Ego inklusive des freien Oberkörpers zeigen darf, bleiben die Übrigen moraltypologische Scherenschnitte. Richtig lügen können jedoch nur Menschen, und die sind bekanntlich dreidimensional. Barbora Paluskova