Durch alle Netze gefallen

Besonders hart wird der Winter für illegal in Hamburg lebende Osteuropäer. Sie erhalten in Hilfseinrichtungen keine Lebensmittel mehr  ■ Von Judith Weber

Fabrikneue Dominosteine sind nur die ersten Drohungen. Spekulatius, Stollenkilometer und ähnliche Auswürfe industrieller Weihnachtsstimmung sind die zweiten. Winter aber wird es erst, wenn es regnet. „Wenn nichts mehr trocknet“, sagt Manfred, Berater bei OASE, der Hamburger Selbsthilfegruppe für Wohnungslose, „dann fängt für uns der Winter an.“

Soll heißen: jetzt. Besonders hart dürften Regen und Kälte in diesem Jahr die rund 700 OsteuropäerInnen treffen, die illegal in Hamburg leben. Denn viele Tages- und Aufenthaltsstätten verteilen an sie weder Lebensmittel noch Kleidung. Mit dem „Herz As“im Bezirk Mitte hat im September eine der letzten großen Einrichtungen ihre Türen und Töpfe für RussInnen und PolInnen geschlossen.

„Wir werden schließlich von der Behörde hauptsächlich dafür finanziert, um den Hamburger Obdachlosen zu helfen“, begründet Mitarbeiterin Edeltraut Schönsee den Essens-Stopp für Menschen aus Osteuropa. 75 Prozent des jährlichen Etats bekommt „Herz As“von der Sozialbehörde. Die AusländerInnen, berichtet Schönsee, trügen es mit Fassung. „Wir haben Merkblätter verteilt und mit ihnen gesprochen. Die meisten hatten Verständnis.“Zwei Drittel nichtdeutsche BesucherInnen täglich, ohne Paß und Versicherung – „das konnten wir nicht verkraften“.

Das Diakonische Werk fegte dieses Problem bereits vor drei Jahren von den Tischen seiner Tagesstätte an der Bundesstraße. Damals, nachdem die Grenzen offen waren, „hat sich die Situation hier zugespitzt“, erinnert sich Fachreferent Peter Schröder-Reineke. Dann habe man Schilder ausgehängt, die auf deutsch, russisch und polnisch erklärten, „für wen wir zuständig sind. Jetzt versorgen wir nur noch kleine Gruppen.“

Die deutschen Obdachlosen danken es ihnen. Verdrängt hätten die sich gefühlt, erzählt Schröder-Reineke. „Und viele hatten Angst.“Jetzt aber „kommen sie alle wieder“. Rund 150 Menschen täglich in die Bundesstraße, fast 120 ins Herz As.

Weg aus einigen Tagesstätten sind die AusländerInnen also – aber wohin? Einige kommen zu den wenigen Versorgungsstellen, in denen sie noch gerne gesehen sind. Zur OASE in der Eimsbüttler Fruchtallee beispielsweise. „Wir merken, daß sich aus der Not heraus Polen und Russen bei uns konzentrieren“, berichtet Manfred. Ohnehin, weiß er, kommen jetzt, zum Winteranfang, mehr Wohnungslose in die Tagesstätten – all jene, die im Sommer auf Obstplantagen gearbeitet haben.

Deutsche Berber, Obdachlose und herumziehende Plantagenarbeiter: Sie alle haben gesetzlichen Anspruch darauf, versorgt zu werden. Im Gegensatz zu illegal eingereisten AusländerInnen. Das geschrumpfte Hilfsangebot reicht für sie weder zum Essen, zum Duschen noch für Kleiderspenden. Das wissen auch die Aufenthaltsstätten. „Aber für die Illegalen fühlt sich niemand zuständig“, sagt OASE-Mitarbeiter Manfred. Sie haben keine Papiere, keinen Paß; offiziell existieren sie nicht.

„Sie fallen durch alle Netze“, erklärt Petra Bäuerle, Sprecherin der Sozialbehörde. Zwar hat das Amt keine Tagesstätte angewiesen, die Illegalen nicht mehr zu beköstigen. „Aber grundsätzlich halten wir es für richtig, daß die öffentlich finanzierten Einrichtungen hauptsächlich Hamburger Obdachlose versorgen“, sagt Petra Bäuerle. Zumal die Illegalen nicht krankenversichert seien. „Aber ihre Versorgung bleibt ein Problem, das man angehen muß.“

Vielleicht im nächsten Winter?