Wider den Ordnungswahn

„Geschichte besteht nicht nur aus Erfolgen“: Der Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Norbert Huse räumt in seinem neuen Buch „Unbequeme Denkmale“ mit einigen hartnäckigen Mißverständnissen auf  ■ Von Ulrich Clewing

1989 war kein gutes Jahr für die Architektur in München. Es war das Jahr, in dem das ehemalige Landesversorgungsamt in der Heßstraße dem Erdboden gleich gemacht wurde. Nur zaghafter Widerstand regte sich damals gegen die Zerstörung des eleganten, fein proportionierten Gebäudes aus den 50er Jahren, mit dem die Meisterarchitekten Hans und Wassili Luckhardt an die Bauhaus-Tradition angeknüpft hatten. „So wurde die Stadt“, konstatiert ironisch Norbert Huse, „um ein wichtiges Baudenkmal ärmer, dafür aber um ein Stück münchnerischer.“

In Berlin, hieß es seinerzeit, wäre so etwas nicht passiert. Ob das stimmt, sei einmal dahingestellt. Sicher dagegen ist, daß es auch hier jede Menge Ärger und Verunsicherungen gibt, wenn es um denkmalpflegerische Fragen geht. In seinem neuesten Buch „Unbequeme Baudenkmale – Entsorgen? Schützen? Pflegen?“ spricht der Kunsthistoriker Norbert Huse einige Streitfälle an, die „angesichts einer Hauptstadtplanung, die Geschichte nur höchst selektiv zur Kenntnis nimmt“, besondere Aktualität besitzen. Und er räumt dabei mit einer Reihe von Mißverständnissen auf, die immer dann hochkommen, wenn sich die Ziele der Denkmalpfleger nicht mit den landläufigen Vorstellungen vom Schöner-Wohnen in Deckungsgleichheit bringen lassen.

Was zum Beispiel hätte man machen sollen mit einer historischen Hinterlassenschaft wie dem „Antifaschistischen Schutzwall“, dessen Qualität nicht zuletzt in „seiner schieren Quantität“ liegt? Was tun mit dem riesigen Lenin am gleichnamigen Ort, der seit der Schleifung der Figur im Herbst 1991 offiziell Platz der Vereinten Nationen genannt wird? Worin liegt der Wert eines Überbleibsels nationalsozialistischen Größenwahns wie der italienischen Botschaft in Tiergarten (in deren unmittelbarer Nähe, im neugeschaffenen Zentrum der NS-Macht, sich das Gästehaus der Krupp AG befand)? Was bedeutet heute der „Großbelastungskörper“ aus massivem Beton an der Dudenstraße, mit dem die Firma Dyckerhoff testete, ob der märkische Sandboden Albert Speers „Germania“-Pläne aushält? Natürlich ist es auf Anhieb schwer zu verstehen, warum man diese in vielerlei Hinsicht „unbequemen“ Baudenkmale erhalten sollte. Und doch, meint Huse, Lehrstuhlinhaber an der TU München und einer der profiliertesten Vertreter der Denkmalschutz- Idee in Deutschland, es führt kein Weg daran vorbei.

Die Denkmalpflege hat, so Norbert Huse, ein ganz erhebliches Problem: „Im Abstrakten ist sie zwar noch immer von Wohlwollen umgeben, aber dieses pflegt sich schnell in Mißtrauen und Ablehnung zu verwandeln, wenn sie ihre Arbeit nicht an dem auszurichten versucht, was von ihr erwartet wird.“ Aufgabe der Denkmalpflege sei nicht, „heile Welten herzustellen“. Sie ist keine ästhetische Disziplin, keine „Sache subjektiven Meinens und Behauptens“, sondern Teil einer historischen Forschung, die sich damit abfinden muß, daß „Geschichte nicht nur eine Sequenz von Erfolgen ist“.

Von dieser Erkenntnis ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zu dem Schluß, daß Denkmalschutz eine eminent politische Angelegenheit darstellt. Daher ist es nur konsequent, wenn sich Huse dafür einsetzt, nicht nur einzelne Gebäude zu bewahren, sondern auch die räumlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge zu beachten, in denen diese stehen. Dagegen wendet er sich scharf wider die allgemeine Tendenz, Zerstörtes zu rekonstruieren („was verloren ist, ist verloren“), die Vorstellung, daß das Berliner Stadtschloß oder beispielsweise die Frauenkirche in Dresden neu aufgebaut werden könnten, ist ihm ein Greuel – schon weil das impliziert, daß Geschichte austausch- und korrigierbar sein könnte.

Huses aufklärerisches, durchaus selbstkritisches Buch („der Begriff Original ist Fiktion“) ist ein Plädoyer für mehr Aufrichtigkeit und weniger blinden Aktionismus im Umgang mit Historie, es wendet sich gegen „Geschichtsdesign“, „deutschen Ordnungssinn“ und den Drang, die Dinge auf Teufel komm raus zu beschönigen – kurz: dieser schmale Band ist als Einstieg in ein intellektuell hochanspruchsvolles Denkgebiet dringend zu empfehlen.

Norbert Huse: „Unbequeme Denkmale – Entsorgen? Schützen? Pflegen?“. C.H. Beck, München 1997, 140 S., 36 Mark