Wand und Boden
: Klare sprachliche Unklarheit und andere Trübheiten

■ Kunst in Berlin jetzt: Mary Kelley, Thomas Kapielski, Holly Zausner

Nach der Hysterie der Frauen geht es nun um die pathologische Männlichkeit: Wie immer stehen die künstlerischen Aussagen, die Mary Kelley aus ihren kritischen Nachforschungen gewinnt, ebenso minimalistisch wie elegant ausformuliert vor dem Betrachter. „Gloria Patri“, die Installation, mit der jetzt die Galerie Paula Böttcher in der Kleinen Hamburger Straße neu eröffnet, besteht aus sechs Blättern, die einen Pokal, und fünf Blättern, die eine Art Wappenschild zeigen.

Die Pokale krönt eine männliche Figur, die je einen Buchstaben des Wortes Gloria hochhält. Im Fuß des Pokals findet sich jeweils eine Bemerkung, die US-Soldaten im Zuge der Golfkriegsberichterstattung äußerten. In die fünf Wappenembleme sind kleine Geschichten eingraviert. In ihnen erzählt die Künstlerin von mehr oder minder klassischen Lebensmomenten: zum Fischen gehen, Baseball spielen, als Vater die Geburt des Sohnes beobachten, vom Frühstück des Sohnes mit der Mutter, aber auch – in weiblicher Stimme – von den gymnastischen Übungen, die die fitte Karrierefrau heute zu leisten hat.

Mary Kelley, die 1941 in Minnesota geboren wurde, lange Zeit in London lebte und nun Dekanin des Arts Department der University of California Los Angeles ist, gehört zur ersten Generation von Künstlerinnen, die Anfang der 70er Jahre ihr feministisches Anliegen in Konzeptkunst transformierten. Für Kelley spielte dabei Jacques Lacan und seine These vom Spiegelstadium in der kindlichen Entwicklung eine kardinale Rolle. Der Körper, der womöglich kein ganzer wird, in weiblicher Hysterie zerbricht oder in männlich kriegerischer Panzerung erstickt.

Dadurch, daß die recht großen Blätter bei Paula Böttcher dunkle, stumpf schimmernde Bleistiftfrottagen von den ursprünglich hochglänzenden Alumiumreliefs sind, erscheint die Arbeit weniger Lacan-munitioniert, nüchterner, aggressiver, weil unkomplizierter.

Bis 30.11., Mi–Fr 14–19, Sa 12–17 Uhr, Kleine Hamburger Straße 15

Panzerung ist dennoch kein unausweichliches Männerschicksal. Vielleicht ist es eine der Gratifikationen des Künstlerdaseins, daß man diesem Fatum leichter entkommt. Dann darf man sich auch darüber lustig machen und über eine wichtige Einrichtung des Männerlebens plaudern, nämlich über die Trennung von schwerer und leichter Arbeit. Nach diesem binären Schema hat Thomas Kapielski in Wiens Laden & Verlag seine Ausstellung über „Diverse klare sprachliche Unklarheiten und unklare sprachliche Klarheiten in Öl und gestickt“ eingerichtet.

Wer glaubt, klare sprachliche Unklarheiten gäbe es nicht, der wird eines Besseren belehrt, und zwar mit Hilfe von „Gott“. „Kunst“ wiederum fällt in die Rubrik einer unklaren sprachlichen Klarheit. Daneben gibt es naturtrübe nichtsprachliche Trübheiten, wie etwa „Apfelsaft“. Leicht einzusehen, daß es „Schwerstarbeit“ ist, sich durch die lange Liste solch glimpflichen nichtsprachlichen Unglimpfes zu arbeiten, die Kapielski als Edition aufgelegt hat. Für die viele Arbeit kommt einem Kapielski mit einem fairen Preis von zehn Mark entgegen.

Leicht ist die Arbeit, wenn andere sie machen und der Künstler das Kissen beispielsweise nicht selbst besticken muß. Leicht ist die Arbeit, wenn er nur die Ölfarbe aus der Tube auf die Leinwand drücken muß, wie bei seinem Gemälde „schwer“. Schwer dagegen ist es, Heidegger zu lesen, leicht, selbst ein Buch zu schreiben. Leicht dürfte es für den Besucher auch werden, wenn der Künstler die schwere Arbeit auf sich nimmt, selbst durch die Ausstellung zu führen. Am 25. Oktober um 18 Uhr sollte man sich diese Performance nicht entgehen lassen.

Bis 15.11., Mi–Fr 14–19, Sa 11–15 Uhr, Gleditschstraße 37

Schwer, oder besser schwergewichtig, sieht die Arbeit auf den ersten Blick nicht aus, die Holly Zausner im Fensterregal der Galerie Wohnmaschine plaziert hat. Auf drei zarten, transparenten Trinkgläsern schweben etwas weniger zarte, aber hinreißend pinkfarbene Figurinen, die durch ihre wundersam langen Beine auffallen. Schaut man danach durch den Türspion, ist die Figur ziemlich gewachsen, sie zieht sich in die Länge und ist von der berühmten LeCorbusier-Liege gekippt, die sich naturgemäß in der maschine habiter befinden muß.

Der Türspion von Eric Hattan ist ein ziemlich verflixtes Ding. Denn betritt man den Galerieraum, steht die Liege tatsächlich über einer am Boden liegenden Frauenfigur, deren mächtige Beine sich hinter ihr wie ein Herz auffalten. Die Beine werden dann dünner, zu zwei Schlangen, die die Liege einfassen.

Neben der Assoziation auf den Ort der Ausstellung verweist die Liege auch auf den shrink, den Psychoanalytiker, der zum Haushalt der gesunden, normalen Amerikanerin gehört wie ihre Gymnastikübungen. Der Titel der Installation „more lost illusions“ sowie die sehr lang trainierten Gliedmaßen verweisen auf eine gewisse Skepsis, die die Künstlerin einem solchen weiblichen Dasein entgegenbringt.

Gleichzeitig bietet es ihr Anlaß für eine formal aufschlußreiche Arbeit. Industrieform, umgarnt von künstlerischer Handarbeit. Norm steht gegen Überdimensioniertheit, Zerfließen und Klumpen. Aktualität gegen die klassische Therapie. Pink gegen Schwarz. Die ganz große Farbe der zeitgenössischen Kunst gegen die der klassischen Moderne. Wessen Illusionen sind hier eigentlich verlorengegangen?

Bis 31.10., Di–Fr 14–19, Sa 11–17 Uhr, Tucholskystraße 36 Brigitte Werneburg