Den Reiz des Ippon vermitteln

Das vom olympischen Ausschluß bedrohte Judo wagt die Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne und versucht bei seiner WM fernsehfreundlicher zu werden  ■ Aus Paris Oliver Kauer

Judo ist langweilig. Da zerren zwei weißbekittelte Menschen heftigst aneinander rum, und einer gewinnt halt. Manchmal wirft einer den anderen hin. Wofür es dann solche Wertungen wie Koka, Yuko, Waza-ari und Ippon gibt. Wieso und warum, erscheint Außenstehenden dabei oft ziemlich nebulös.

Judo ist schnell. Für ungeübte Augen sind viele Aktionen nicht nachzuvollziehen. Und Judo ist vielfältig. Die Fülle an möglichen Techniken und Aktionen ist schier unendlich. Vielleicht sagt man besser: Judo ist kompliziert. Was für den Insider gerade den Reiz an dieser aus Japan stammenden Zweikampfsportart ausmacht, ist für den, der sich nicht auskennt, ein Graus.

Komplexe Sachverhalte darzustellen fällt gerade dem Sportfernsehen schwer. Judo flimmert deshalb nur selten über die Mattscheibe. Hinzu kommt, daß es an Regisseuren mangelt, die sich auskennen und die Kamera entsprechend führen lassen könnten. Judo müsse fernsehfreundlicher werden, hat IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch vor zwei Jahren gegrantelt, ansonsten laufe es Gefahr, aus dem olympischen Programm zu fliegen. Andere Sportarten seien nämlich wesentlich flexibler, was die TV-Attraktivität betreffe. Das Gemotze des Ober- Olympiers hat die Judoszene aus ihrem selbstverliebten Tiefschlaf geweckt. Auf dem Kongreß der International Judo Federation (IJF) vor den Weltmeisterschaften, die am Donnerstag in Paris begannen, wurden einschneidende Veränderungen beschlossen.

Alle internationalen Turniere werden künftig in blauen und weißen Judo-Anzügen bestritten. So kann das Auge des Zuschauers die vormals einheitlich in Leichentuchweiß rangelnden Gestalten besser auseinanderhalten, Arme und Beine besser zuordnen. Bislang hatten sich die immer mehr an Einfluß verlierenden Japaner erfolgreich gegen diese in Europa bereits etablierte Idee gewehrt. Des traditionellen Charakters wegen. Zudem wurden die Gewichtsklassen hochgestuft, weil Untersuchungen ergaben, daß die Menschen im Durchschnitt größer und damit schwerer geworden sind. Daneben wird die Kampfzeit im nächsten Jahr bei den Junioren probeweise von fünf auf vier Minuten verkürzt.

„Judo muß dynamischer werden und leichter zu verstehen sein“, fordert der Hamburger Claus Beißner, Mediendirektor der IJF, „bisher stellt sich das Judo für die Öffentlichkeit zu exotisch dar.“ Zudem habe sich keine Judo- Kultur im Fernsehen entwickeln können, da der Zweikampf auf der Matte zumeist wie Fußball transportiert werde. Allein andere Kameraeinstellungen könnten die Sportart dem Zuschauer attraktiver vermitteln, glaubt Beißner.

Ganz visionäre Judo-Funktionäre würden sogar das auf japanischen Bezeichnungen basierende Wertungssystem auf dem Fernsehaltar opfern. Gedacht ist an ein Addier-Punktesystem, ähnlich wie beim Ringen. Ein solches international einzuführen würde aber bedeuten, an den Grundfesten des Judo zu rütteln. Denn angestrebt wird der Ippon, der volle Punkt, die perfekte Technik. Danach ist der Kampf aus und vorbei. Pünktchensammeln ist bei den Judo-Ästheten verpönt. Gleichwohl soll in der Bundesliga ein solches Experiment durchgeführt werden.

Der Deutsche Judo-Bund (DJB) ist nämlich auch in Panik geraten. Von Firmen mit leeren Händen nach Hause geschickt, wurde dem Verband klar: keine medien- und zuschauerfreundlichen Veranstaltungen, keine Medienpräsenz, keine Sponsorkohle. Um den Tresor zu knacken, soll ab der nächsten Saison, sofern die Mitgliederversammlung Anfang November abnickt, auch mit Farbe gereizt werden. Die Heimmannschaft kann in der Bundesliga dann nicht mehr nur in blauen Anzügen auftreten, sondern sich eine (Firmen-) Farbe aussuchen.

Alle diese Probleme treffen aber nur zum geringsten Teil auf das französische Judo zu. Der Palais Omnisport in Paris-Bercy ist für alle WM-Tage ausverkauft. Hier sind die Judo-Stars bejubelte Sportheroen. Während für die Franzosen Judo eine etablierte Sportart ist, ist es in Deutschland nie über einen Exotenstatus hinausgewachsen, der auch vom DJB lange gepflegt wurde.

Bis 2004 dürfte Judo nach Ansicht von IJF-Mediendirektor Beißner seinen olympischen Status sicher haben. Glücklicherweise sitzen im IOC mittlerweile drei frühere Judoka. „Eine Pressure- Group“, sagt Beißner. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob das Judo wirklich die Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne bewältigt. Einfach zu verstehende Sportarten, die nach dem olympischen Judo-Platz schielen, gibt es hinreichend.

Übrigens war Samaranch in Paris erstmals bei einer Judo-WM zugegen und lobte die beschlossenen Änderungen. Schlußfolgern kann man daraus aber nichts.