: Die zweite Heimat
■ Ein brennendes Haus und ein empfindlicher Frieden: Ein Treffen israelischer, palästinensischer und deutscher Autoren in Speyer
Zum dritten Mal in drei Jahren organisierte die Landeszentrale für politische Bildung Rheinland- Pfalz eine Begegnung zwischen israelischen, palästinensischen und deutschen Schriftstellern. Beim ersten Mal, 1994 in Bad Kreuznach, polterten die Anwürfe zwischen Israelis und Palästinensern schwer in den Raum.
Zorn und Mißtrauen wurden mit Vehemenz geäußert, so daß die Deutschen erschreckt stillehielten. Um so freudiger erlebten sie die darauf folgende Annäherung zwischen den Parteien mit, das Versprechen, auch daheim mehr Gemeinsamkeit bei der Suche nach Frieden anzustreben.
Das zweite Treffen fand dann in Israel im Kibbuz Givat Haviva statt, den Israelis und Palästinenser zusammen betreiben, und hier entwickelte sich eine tiefreichende, fruchtbare Debatte – um die deutsche Schuld gegenüber den Juden. Was die mit den Auseinandersetzungen in Nahost zu tun hat, faßte der israelische Autor Yoram Kaniuk dieser Tage in eine Anekdote: Aus einem brennenden Haus springt ein Mann, um sich zu retten, vom dritten Stock auf die Straße. Er fällt auf einen Passanten; dieser wird wütend, es kommt zum Streit, und schließlich prügeln sich die beiden.
Am Mittwoch und Donnerstag traf man sich nun in Speyer zum dritten Mal. Hans-Georg Meyer, Direktor der Landeszentrale, hatte waghalsig das Thema „Heimat“ vorgegeben. Mit Verlegenheit und Staunen reagierten die meisten Autoren auf dieses Ansinnen. Der Israeli Asher Reich nannte es ein „kompliziertes und belastetes Thema“, der Frankfurter Literaturprofessor Martin Lüdke fühlte sich bei diesem Wort gar an „Kalau“ erinnert. Die Araber verstanden erst am zweiten Tag, was mit dem deutschen Wort „Heimat“ eigentlich gemeint war und welche Schwierigkeiten die Deutschen damit verbinden.
Der Pädagogikprofessor und Dichter Al-Kilani aus Nablus faßte seine Wahrnehmungen in dem Satz zusammen, es gebe offenbar zweierlei Heimat, eine für den, der in der Fremde lebe, und eine, deren Situation man ablehne. Am häufigsten kam schließlich „Heimat“ als geistige und als sprachliche vor. „Der Mensch ist kein Baum“, sagte Uri Avnery.
Die Israelin Dorit Zilbermann trug den vollkommensten Text vor: Sie beschrieb das reale Land in poetischer Sprache als einen Ort, an dem sie selbst, die Palästinenser und alle drei Religionen gleichermaßen zu Hause sind. Die arabischen Teilnehmer reagierten auf diese Erzählung fast euphorisch: damit sei eine neue Phase in den Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern eingeleitet!
Lea Fleischmann (bekannt geworden durch das Buch „Dies ist nicht mein Land“) äußerte sich vorsichtiger, ja mißtrauisch. In der öffentlichen Diskussion am Mittwoch abend im Stadtratssaal von Speyer, die unter dem Motto „Wo lebt der Mensch? Heimat zwischen Realität, Erinnerung und Hoffnung“ stand, kam sie auf die realen Ängste der israelischen Bürger vor Terroranschlägen zu sprechen und löste damit eine Welle von palästinensischen Gegenanklagen aus. Darüber entsetzte sich wiederum ihr Kollege Kaniuk, der die Diskussion hinterher entrüstet eine „antiisraelische Veranstaltung“ nannte.
Es war nur wieder ein Beispiel, wie empfindlich der Frieden ist, an dem doch alle Teilnehmer interessiert waren. Der Konfrontation am Abend folgte dann ein versöhnlicher Morgen. „Unsere Treffen dienen dem Gespräch, keiner falschen Verbrüderung“, konnte Hans- Georg Meyer sagen, so daß Muhammed Faruk Mawasi zum Schluß an seine Kollegen aus Palästina und Israel appellierte: Laßt uns das Komitee der Schriftsteller wieder neu beleben, damit wir miteinander reden. Barbara Höhfeld
Sämtliche vorgetragenen Texte wurden in einem „Reader“ veröffentlicht: „Heimat: Das allen in die Kindheit scheint und wohin noch niemand war“. Hrsg. von H.-G. Meyer, Klaus Wiegerling, Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt, 1997
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