■ Was hat die Russenmafia mit Matthias Hintzes Tod zu tun?
: Organisierte Vorurteile

Einen Menschen zu entführen, in ein Erdloch zu sperren und ihn dort verdursten zu lassen, zeugt von einer tiefen Verrohung und Mitleidlosigkeit. Daß gerade zwei russische Staatsbürger, noch dazu ehemalige Rotarmisten, dieses Verbrechens an dem 20jährigen Matthias Hintze verdächtigt werden, aktualisiert nun jahrhundertealte Vorurteile von Deutschen gegenüber Russen. Doch auch ein neues Klischee wird bedient: Überall, wo Leute aus den östlichen Weiten ihre Finger illegal im Spiel haben, muß es sich um Banden, Mafiosi – bürokratisch ausgedrückt: organisierte Kiminalität – handeln.

Präzise produzierte die mediale Vorurteilsmaschine am Donnerstag abend genau dieses Bild in der ARD-Sendung „Brennpunkt“, die über die Entführung des am Tag zuvor tot aufgefundenen Hintze berichtete. Die zuständige Redaktion des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg (ORB) ignorierte dabei planmäßig die bisherigen Ergebnisse der Ermittlungen. Auf die Verurteilung der beiden Russen vor einigen Jahren angesprochen, erklärte Brandenburgs LKA-Chef sinngemäß: Keine Bande, Einzeltäter. Beim aktuellen Fall gebe es ebenfalls keine Hinweise auf mafiose Zusammenhänge, ergänzte der leitende Ermittler der Polizei – von sehr vagen Spuren eines Drogengeschäftes zwischen Hintze und den Russen abgesehen. Was taten die ORB-RedakteurInnen dann, um ihre großzügig bemessene Sendezeit zu füllen und dem Einzelfall eine bedrohliche Wendung ins Allgemeine zu geben? Sie spielten einen Film ein, der die aus Ostdeutschland abziehende Rote Armee beim angeblichen Schmuggeln von Luxuskarossen, Waffen und Zigaretten zeigte.

Ähnlich stellten auch Bild und die auf Westniveau eingepegelte Berliner Zeitung Zusammenhänge zwischen dem aktuellen Fall und vermeintlichen Hintergründen her, wo schlicht keine bisher nachweisbaren Verbindungen existieren.

Wie zufällig diente die Berichterstattung zudem als Rechtfertigung für einen Beschluß, den der Bundestag am selben Tag gefällt hatte. Der von CDU und SPD beschlossene Große Lauschangriff, das Abhören von Privatwohnungen mit elektronischen Mitteln, richtet sich vornehmlich gegen die organisierte Kriminalität. Mordende Mafiabanden, Drogenkartelle und internationale Schieberringe warten quasi hinter jeder Ecke! Um zu beweisen, daß sich dafür die Preisgabe von Bürgerrechten lohnt, findet sich kein besseres Mittel als die Instrumentalisierung des Mordes an Matthias Hintze. Hannes Koch