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■ Bosnien nach den Wahlen: Nationalismus oder Demokratie?Auf die Differenzierung kommt es an

Die internationale Strategie in Bosnien-Herzegowina ist wenigstens zum Teil aufgegangen. Das wichtigste Ziel, einen demokratischen Prozeß in den Kommunen einzuleiten, scheint erreicht zu sein. Dem braucht nicht entgegenzustehen, daß mit den Wahlen die nationalen Besitzstände gewahrt worden sind. Und auch nicht, daß die Kommunalwahlen jede Menge Zündstoff schaffen werden. Wenn, wie in Srebrenica und anderen Städten, Eroberer und Vertriebene, Opfer und Täter einander gegenübersitzen werden, ist der Zoff vorprogrammiert.

Doch gleichzeitig ist dieser Umstand das wichtigste Ergebnis der Wahl. Irgendwann muß es ja zu dieser Auseinandersetzung kommen. Das Abkommen von Dayton hat nur einen Rahmen geschaffen. Die Nationalisten aller Seiten haben alles getan, die ihnen unangenehme Zusammenarbeit mit der anderen Seite zu boykottieren. Nur mit internationalem Druck wurde durchgesetzt, daß demokratische Strukturen entwickelt werden können. Wenn jetzt die Bevölkerungen miteinander konfrontiert werden, sind nicht nur Gefahren, sondern auch Chancen da.

Selbstverständlich werden die Eroberer die Vertriebenen an der Rückkehr hindern wollen. Schon die Sicherheit der Gemeinderäte in Foca, Srebrenica oder in Zvornik ist ein Problem. Und sicherlich werden die internationalen Truppen SFOR und die internationale Polizei IPTF alle Hände voll zu tun haben, Konfrontationen zu vermeiden. Doch dieser Prozeß beinhaltet auch die Chance, das Lagerdenken aufzubrechen und den zivilen Kräften innerhalb der Bevölkerungsgruppen Auftrieb zu geben.

Die Alternative wäre, die Teilung des Landes zu akzeptieren und die Kriegstreiber zu belohnen. Daß die faschistischen Kräfte um Vojislav Šešelj in dem serbischen Teilstaat Bosniens nach den nationalistischen Extremisten der Karadžić-Partei zur zweitstärksten Kraft aufgestiegen sind, mag mit den Berührungsängsten und dem schlechten Gewissen der serbischen Bevölkerung zu tun haben. Beide Parteien werden alles tun, um die Rückkehr der Vertriebenen zu verhindern. Doch dem steht gegenüber, daß selbst in den Hochburgen des serbischen Nationalismus nun viele Parteien in die Verantwortung genommen sind. In der bevölkerungsreichsten Region um Banja Luka haben die Extremisten kaum mehr Einfluß.

Auf die Differenzierung kommt es also an. Auch in der Strategie der internationalen Gemeinschaft. Endlich wurde verstanden, daß man nicht nur mit den jeweiligen Machthabern zu verhandeln hat. Sondern daß es darum geht, lebensfähige demokratische Strukturen zu entwickeln. Die Ausschaltung der Propagandasender zum Beispiel ist ein wichtiger Schritt, Pressefreiheit zu ermöglichen. Wenn jetzt in den Redaktionsstuben der ehemaligen Propagandasender über journalistisches Ethos diskutiert wird, hat ein Prozeß der Normalisierung begonnen.

In diesem Prozeß sind die Kommunalwahlen nur ein Element unter anderen. Aber ein wichtiges. In dem bosniakisch kontrollierten Gebiet treten zunehmend schon die sozialen Interessen vor die nationale Besitzstandswahrung. Daß in Tuzla die nicht nationalistische „Gemeinsame Liste“ die absolute Mehrheit erringen und sich auch anderswo verankern konnte, ist zusammen mit dem Erfolg der Sozialdemokraten ermutigend. Und daß endlich auch, wenn auch nur begrenzt, andere kroatische Parteien der HDZ Konkurrenz zu machen beginnen, gehört dazu. Das läßt für die nächsten Parlamentswahlen hoffen.

Wie die OSZE in Brčko vorging, ist jedoch kritikwürdig. Mit der Wählermanipulation kurz vor dem Wahltag wurde die Glaubwürdigkeit der gesamten Wahl in Frage gestellt. Wer die Demokratisierung von unten ernsthaft will, darf nicht in dem Geruch stehen, aus „übergeordneten“ Interessen zu manipulieren.

Gelingt es aber nicht, den Prozeß der Normalisierung und Demokratisierung voranzubringen, wird man den Extremisten wieder in die Hände spielen. Und die sind bereit, nach einem Abzug der SFOR- Truppen wieder Fakten zu schaffen. Ein neuer Krieg wäre dann unausweichlich. Es bleibt also nichts anderes übrig, als weiterhin Schritt für Schritt die Demokratisierung und die Aussöhnung der bosnischen Gesellschaft zu unterstützen. Erich Rathfelder

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