Analyse
: Schwieriges Jubiläum

■ 25 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen China und Deutschland

Historisch gesehen stand die Menschenrechtsfrage im Dialog zwischen Peking und Bonn selten im Vordergrund, darüber können auch die bei Staatsbesuchen immer wieder übergebenen Listen mit Namen politischer Gefangener nicht hinwegtäuschen. Schon bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen 1972 spielten auch ökonmische Interessen eine Rolle: Bonn lieferte bereits damals knapp sechs Prozent der chinesischen Importe – übrigens mehr als heute. Richtig ernst mit der wirtschaftlichen Zusammenarbeit wurde es in den 80er Jahren: VW stieg ins Chinageschäft ein und eroberte bis heute 60 Prozent des chinesischen Pkw-Marktes. Allein die Wolfsburger investierten im Laufe der Jahre 3,5 Milliarden Mark ins Reich der Mitte. Wie wichtig der chinesische Markt für deutsche Unternehmen geworden ist, zeigt heute das Beispiel BASF: Der Ludwigshafener Riese will über die nächsten Jahre drei Milliarden Mark in einen Chemiekomplex in Nanking investieren. „China steht heute für viele Unternehmen im Zentrum ihrer Globalisierungsstrategien“, beobachtet der deutsche Botschafter in China, Konrad Seitz. „Es bleibt keine andere Wahl, als sich diesem, vielleicht härtesten Wettbewerb in der Welt zu stellen.“

Seitz ist für die deutsch-chinesischen Beziehungen erwähnenswert, weil er stets einer der ganz wenigen deutschen Diplomaten war, die sich am öffentlichen Diskurs in der Bundesrepublik beteiligten. So diktiert Genschers alter Redenschreiber heute auch die deutsche Chinapolitik als begeisterter Advokat deutschen Wirtschaftsengagements, der von der Annahme ausgeht, daß „das hohe Wachstum der chinesischen Wirtschaft über die nächsten 20 Jahre weitergeht und China dann neben den USA die größte Volkswirtschaft der Welt sein wird“. Zu den politischen Zielen des Westens sagt Seitz: „China in das Weltsystem friedlich zu integrieren wird die wichtigste weltpolitische Aufgabe des 21. Jahrhunderts sein.“ Wer in solchen Kategorien denkt, vergißt manchmal, daß da noch ein paar Leute im Gefängnis sitzen, für die es sich einzusetzen lohnt, wie zum Beispiel Dissident Wei Jingsheng, Chinas hartnäckigster Demokratie-Anwalt.

Doch eingäugig ist die deutsche Chinapolitik gewiß nicht: Erst Antje Vollmer, dann der Menschenrechtsausschuß des Deutschen Bundestages besuchten im September Tibet, um ihrer Sorge um Menschenrechtsverletzungen im Land des Dalai Lama Ausdruck zu verleihen. Daß ausgerechnet die grüne Bundestagsvizepräsidenten Vollmer von der mächtigen Nummer drei des Politbüros empfangen wurde, zeugte wohl davon, daß auch Peking einen Regierungswechsel in Bonn nicht mehr ausschließt.

Ohnehin sind die chinesischen Interessen nicht nur wirtschaftlicher Art: 10.000 Chinesen studieren zur Zeit in Deutschland, deutsche Umwelttechnologie ist in China sehr gefragt, und sogar Heinrich Heine wird hier noch gelesen, wie ein Kongreß zum 200. Geburtstag des Dichters eindrucksvoll unter Beweis stellte. Mit Heine aber läßt sich das deutsch-chinesische Jubiläum durchaus feiern – zumal die Beziehungen trotz vieler Rückschläge eine gesellschaftliche Breite erreichen, die sie zuvor nie hatten. Georg Blume