Keine Bewährung für liberale Strafrechtsreform

■ Die CSU hat sich gegen die FDP durchgesetzt: Die geplante „Harmonisierung des Strafrahmens“ läuft in den meisten Fällen auf eine Strafverschärfung hinaus. Die Definition für schweren Raub wird ausgeweitet

Bonn (taz) – Die Steuerreform ist gescheitert. Jetzt hofft die Regierung auf eine andere „Jahrhundertreform“, die sie im Wahlkampf vorzeigen kann. Gestern einigten sich die Koalitionsparteien in Bonn über die letzten noch strittigen Fragen der Strafrechtsreform, darunter auf eine Verschärfung der Strafandrohungen für zahlreiche Sexualdelikte.

Der Ort, an dem die Pressekonferenz stattfand, hatte einen hohen symbolischen Gehalt: der Sitzungssaal der Unionsfraktion. Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) war als Gast gekommen und überließ es zunächst Norbert Geis (CSU), Einzelheiten der Einigung zu erläutern. Dann ergriff auch er das Wort: „Sie sehen einen höchst zufriedenen Justizminister vor sich“, versicherte er den Journalisten. Die Hürden auf dem Weg zur Strafrechtsreform seien überwunden. Er sei zuversichtlich, daß der Entwurf jetzt zügig verabschiedet werden könne.

Dieser Entwurf trägt jedoch kaum noch die Handschrift des FDP-Politikers. Sein Plan, die Mindeststrafe für schweren Raub von fünf auf zwei Jahre abzusenken, war einer der am heftigsten umstrittenen Kernpunkte der Reform. Die CSU hielt das Vorhaben für ein falsches Signal. „Einen solchen rechtspolitischen Schildbürgerstreich wird die CSU-Landesgruppe verhindern“, zürnte ihr Abgeordneter Wolfgang Zeitlmann vor einem Jahr.

Sie hat ihn verhindert. Die Mindeststrafe liegt künftig bei drei Jahren, also jenseits der Grenze für Bewährungsstrafen. Demnächst wandert jeder Drogenabhängige, der mit einer Holzpistole ein paar Mark erbeutet hat, hinter Gitter. Bislang sind Gerichte in derartigen Fällen häufig auf den Strafrahmen für minder schwere Fälle ausgewichen. Das soll nach der Reform nicht mehr möglich sein. „Wir sehen es als eine Verschärfung der jetzigen Situation an“, meinte Norbert Geis. „Das ist gewollt, und das ist auch unser Ziel.“

„Die CSU hat sich in allen strittigen Fragen auf ganzer Linie durchgesetzt“, sagte Volker Beck von den Bündnisgrünen. „Die Konflikte wurden immer einseitig durch Strafverschärfung gelöst. Die Koalition bedient den Mechanismus: Jede Verschärfung bringt mehr Sicherheit.“ Dabei sollte die auch von der Opposition seit Jahren geforderte „Harmonisierung des Strafrahmens“ eigentlich einem ganz anderen Anliegen Rechnung tragen: Das 126 Jahre alte Strafgesetzbuch stammt noch aus einer Zeit, in der den Gesetzgebern vor allem das Eigentum als schützenswert erschien. Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit dagegen wurden, wenn sie nicht tödlich endeten, eher als Privatsache betrachtet. Das führt dazu, daß Eigentumsdelikte bis heute oft weit höher bestraft werden als Mißhandlungen.

Die Reform, auf die sich die Koalition jetzt geeinigt hat, läuft aber in den meisten Fällen einfach auf Strafverschärfung hinaus. So soll die bisher straflose versuchte Körperverletzung künftig unter Strafe stehen. Gefährliche Körperverletzung kann danach nicht mehr nur mit einer Geldstrafe, sondern muß mit mindestens sechs Monaten Gefängnis geahndet werden.

Deutlich angehoben werden soll auch der Strafrahmen für Sexualdelikte, vor allem an Kindern. So wird die Höchststrafe für schweren sexuellen Mißbrauch von Kindern von bisher 10 auf 15 Jahre heraufgesetzt. Außerdem können Sexualstraftäter künftig bereits nach dem ersten Rückfall in zeitlich unbegrenzter Sicherungsverwahrung landen. Auch ohne Einwilligung des Betroffenen sollen Gerichte künftig Therapien anordnen können. Bei Verurteilungen zu mehr als zwei Jahren Haft ist eine „zwingende“ Verlegung „behandlungsfähiger und behandlungsbedürftiger Sexualstraftäter“ in sozialtherapeutische Einrichtungen vorgesehen. Den Bundesländern wird eine Frist von fünf Jahren eingeräumt, um diese Plätze zu schaffen.

Norbert Geis ließ durchblicken, daß an eine finanzielle Hilfe des Bundes für die Länder, auf die mit dieser Regelung hohe Kosten zukommen, nicht gedacht sei: „Der Justizvollzug ist Aufgabe der Länder.“ Gegenüber der taz hatte Geis schon vor einigen Monaten gesagt: „Wir haben's leicht. Wir im Bund können Gesetze machen, die Länder müssen sie durchführen.“ Die Reform bedarf allerdings der Zustimmung des Bundesrats. Bettina Gaus