Tantes Rettung oder Tod

■ In Britannien wird die Reform des öffentlichen Rundfunks mit harter Hand angegangen - manche fürchten, daß es auf sein Ende hinausläuft

John Birt war einen Schritt zu weit gegangen. Als der BBC-Generaldirektor Mitte September sein neuestes Reformprojekt vorstellte, revoltierten die Angestellten. Birt wollte die Nachrichtenmagazine fünf „Superredakteuren“ unterstellen, die Chefredakteure abschaffen. Der Plan war, wie in der Birt-Ära üblich, vom Management hinter verschlossenen Türen ausgeheckt worden.

Die düpierten Redakteure drohten mit Kündigung. Der populäre Moderator Jeremy Paxman warf dem Management vor, es behandele die Nachrichtensendungen wie eine Wurstmaschine. Da wurden auch die Politiker und der BBC-Aufsichtsrat hellhörig. Birt war gezwungen, klein beizugeben.

Es war seine erste Niederlage. Birt war 1987 mit dem Schlagwort „Modernisierung“ angetreten, lange bevor Tony Blair das auf die Labour-Fahnen schrieb. Meist bedeutete es Stellenabbau. So wurde bereits vor vier Jahren „BBC Resources“ gegründet – die Fusion der technischen Abteilungen von Radio und Fernsehen. Dadurch wurde ein Viertel der 12.000 Jobs wegrationalisiert. Derzeit hat die BBC 21.600 Beschäftigte. Birt sagt: Immer noch zu viele.

Birts Anhänger sagen, die BBC brauche die Reform, um für das Multi-Kanal-Zeitalter gewappnet zu sein. Im März hat die BBC mit dem Pay-TV-Anbieter Flextech einen 30-Jahre-Vertrag über acht Digitalprogramme geschlossen. Während die ersten beiden (und wichtigsten) nationalen BBC-Kanäle werbefrei sind, darf die Anstalt darüber hinaus, seit 1994 organisiert in der BBC Worldwide Ltd., munter kommerzielle Aktivitäten entwickeln, von denen hiesige Anstalten nur träumen. Neben dem Digitalprojekt gibt es das Pay-TV BBC Prime und die weltweiten Dienste des World Service. 15 Prozent des Etats will Birt bis Ende der Neunziger mit diesen Aktivitäten erwirtschaften. Heute sind es gut fünf Prozent – von Gesamtetat von rund 6,2 BBC-Milliarden kommen gut 5 Milliarden Mark aus Gebühren. Die Jahresgebühren von knapp 300 Mark pro TV- Gerät werden vom Parlament festgesetzt. Birt prophezeit weiter „große Veränderungen“. Er sagt: „Es wird eine schwierige Zeit für die Anstalt. 1996 war der Beginn unserer Zehnjahresstrategie für das digitale Zeitalter. Wir unterschätzen keineswegs die Riesenaufgabe, die noch vor uns liegt.“

Da die BBC knapp 100 Millionen Mark Schulden hat, darf sie kein Geld für Investitionen leihen, sondern muß die Neuerungen aus dem Ersparten finanzieren. In den nächsten fünf Jahren will man deshalb die Kosten um weitere 30 Prozent senken. Schon jetzt hat man aus finanziellen Gründen erfahrene Kameraleute und Cutter durch Angestellte ersetzt, die ein bißchen von allem können müssen.

Weitere Maßnahmen waren die Einführung des „internen Marktes“ sowie der „producer choice“: Angebote von außen konkurrieren mit den internen. Birt malt sich schon „Virtual reality studios“ aus, die nur noch von einer Person bedient werden. Dabei gilt die BBC weltweit als das Musterbild des erfolgreichen öffentlichen Rundfunks, ihre Unabhängigkeit als unerreicht. 1922 von Radiogeräteherstellern gegründet, erhielt sie 1926 die „Royal Charter“, die sie wie die Bank of England zu einer staatlichen Institution macht, die dem Einfluß der Regierung entzogen ist und nur dem Parlament untersteht. Ihre Aura atmete seit jenen Tagen den Geist des seriösen, unabhängigen und populären Journalismus, auch wenn „Tantchen“ („Auntie“) BBC in den Ruch von Vetternwirtschaft und Bürokratie gelangt war, und in den letzten Jahren nur noch um 45 Prozent Marktanteil erreichte. Gerade an dieser Aura hat sich Birt aus Sicht von Traditionalisten vergangen, als er die Holzpaneele von BBC-Gründervater John Reith überstreichen ließ und den kalten Controlling-Geist der Consultingfirma McKinsey ins BBC-Haus holte. Birt argumentiert, nur wenn man Regierung und Öffentlichkeit zeige, daß Reformen möglich sind, sei die Gebührenfinanzierung künftig sicher. Ohne die Reformen, so Birts Anhänger, hätte man beim Parlament wohl kaum die Verlängerung der „Royal Charter“ um zehn Jahre zum Jahresbeginn erreicht.

Doch bei den meisten in der BBC hat sich Birt mit seinem Motto „Adapt or die“ zum Sündenbock gemacht. BBC-Programmdirektor Alan Yentob träumt von den Zeiten, als „niemand den öffentlichen Rundfunk Industrie nannte“. Ganz so rosig war es nicht: Ende der Sechziger sendete BBC rund fünf Stunden Konserven pro Woche zur besten Sendezeit, 1974 neun Stunden. Yentob sagt, die Redaktionen wurden damals wie kleine Fürstentümer geführt. „Man mußte immer auf der richtigen Seite stehen, sonst war man erledigt“.

Dann kam im Jahr 1982 Channel 4. „Channel 4 hat den öffentlichen Rundfunk revolutioniert, indem er ihn unterminiert hat“, sagt Yentob. Schon 1955 mußte sich die BBC so früh wie kaum eine andere europäische Anstalt auf die werbefinanzierte Konkurrenz des regionalisierten ITV einstellen. Doch Channel 4 war offen für unkonventionelle Programme – bald merkten auch die Zuschauer, so Yentob, daß die BBC „wie ein Spaniel die Beine in die Luft streckte und auf ein freundliches Streicheln hoffte“. Doch statt dessen verabreichte Margaret Thatcher einen Schlag mit der Handtasche. Sie deregulierte ITV, das der BBC danach an allen Fronten Paroli bot, zumal die BBC-Einnahmen aus den Fernsehgebühren nun stagnierten. Spätestens jetzt war klar, daß etwas geschehen mußte.

So holte man Birt, dessen Vertrag im vergangenen Jahr bis 2001 verlängert wurde. Der betont zwar, die Zukunft der BBC sei öffentlich-rechtlich. Doch seine Kritiker sehen in der jüngst erfolgten Aufsplittung von Produktion und Programm das Vorzeichen der Privatisierung. Die Konfrontation zwischen den Nachrichtenabteilungen und Birt könnte weitreichende Folgen haben: Zum ersten Mal haben die Angestellten gemerkt, daß der Generaldirektor nicht unverwundbar ist. „An dem Punkt, an dem man unsere journalistische Unabhängigkeit bedroht“, sagte einer von ihnen, „ist Schluß mit dem Birtismus.“ Ralf Sotscheck