„Das war cool“, sagt Souleymane

Für den jungen Straßenmusiker in Burkina Faso ist die Vergangenheit seines Landes besser als die Zukunft: Zehn Jahre nach seiner Ermordung wird Westafrikas Revolutionsheld Thomas Sankara immer noch verehrt  ■ Aus Ouagadougou Signe Viergutz

Mißtrauisch bleibt der Polizist stehen und beäugt den jungen Mann, der mit seiner Trommel im Schatten eines Baumes sitzt. Dann schüttelt er abschätzig den Kopf, dreht sich noch einmal um und schlendert weiter. Sein verächtlicher Blick galt Souleymane. Der hat sich an abfällige Bemerkungen längst gewöhnt.

Souleymane ist ein „Rastaman“, nach eigener Vorstellung Musiker, Krieger, Instrumentenbauer, Philosoph und König. In den Augen der rechtschaffenen Bürger in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou ist „Rastaman“ ein Synonym für „kleiner Gauner“. Dabei träumt Souleymane doch nur von der Karriere in einer Reggae-Band. Seine Dreadlocks trägt er jedenfalls voller Stolz – was auch immer der Polizist denken mag.

„Das hier“, erklärt der 22jährige und zupft an einer verfilzten Strähne, „ist mehr als eine Frisur. Es symbolisiert die alte Zeit, als es noch keine Messer, Scheren und all die anderen Erfindungen gab, mit denen wir die Natur zerstören. Meine Haare wachsen, wie sie wollen. Das steht für die Freiheit. Die abrasierten Partien über dem Nacken stellen die modernen Zeiten dar. Außerdem sieht's cool aus.“

Ein „cool-cool“ schallt ihm auch zur Begrüßung entgegen, als er sich dem Souvenirstand aus Wellblech nähert, wo sich seine Clique trifft. Fünf oder sechs Jungs hängen da herum, warten auf Kunden und vertreiben sich die Zeit, indem sie auf der Djembé spielen, einem westafrikanischen Saiteninstrument. Von ihrem Standort, direkt gegenüber dem französischen Kulturzentrum, hatten sie sich mehr erhofft. Viel zu selten interessiert sich jemand für ihre Stoffe, Ketten und Statuen. Noch seltener kommt ein Handel zum Abschluß. Leben kann davon keiner.

Auch Oumar wartet auf Kunden. Er ist eigentlich Djembélehrer. Nur hat er zur Zeit nicht einen einzigen Schüler. „Keine Touristen. Hier läuft nur in den Ferien was“, meint er achselzuckend. Ob er nicht irgendwie anders Geld verdienen kann? „Wie soll ich denn hier in Burkina Arbeit finden?“ fragt er zurück.

Das westafrikanische Sahelland Burkina Faso gilt als eines der ärmsten der Welt. Die meisten Menschen leben von der Landwirtschaft, doch suchen immer mehr ihr Glück in der Stadt. Zudem wächst die Bevölkerung selbst für afrikanische Verhältnisse sehr schnell. Fast die Hälfte der etwa 9,5 Millionen Einwohner Burkinas sind unter 15 Jahren.

Da spart die Regierung nicht an glanzvoller Rhetorik. Im Februar dieses Jahres zum Beispiel gefiel sich Ouagadougou als Gastgeber eines Kongresses zum Thema „Kindheit und Jugend“. Das diesjährige Fespaco (Panafrikanischens Kinofestival von Ouagadougou) stand unter demselben Motto. Nur wenige Tage später wurden rund 1.000 Studenten gewaltsam aus ihren Wohnheimen vertrieben, verhaftet und mißhandelt – um einen Streik für bessere Studienbedingungen zu brechen.

Souleymane hat immerhin regelmäßig die Möglichkeit zu bescheidenen Auftritten. Er spielt in der Musikgruppe seines Vaters, begleitet die Musiker im Nachtclub „Sahel“ oder verdient sich ein paar CFA-Francs, indem er mit einem Jongleur durch die Kneipen zieht. Eine abgeschlossene Ausbildung hat er nicht, nur den Grundschulabschluß. Damit gehört er in Burkina Faso bereits zu einer Minderheit: Lediglich 20 Prozent der Bevölkerung sind lese- und schreibkundig. Ein bißchen nähen, ein bißchen schreinern kann er auch, sagt er.

Die eigene Band hat sich aufgelöst. „Wir wurden anfangs von einer deutschen Frau unterstützt, die sich jetzt nur noch um Waisenkinder kümmert. Für uns hat sie keine Zeit mehr“, erzählt Souleymane und sieht dabei aus, als habe man ihm eine Tür vor der Nase zugeschlagen.

Im Radio spielt jetzt „Stand up for your Rights“ von Bob Marley. Sofort kreist das Gespräch um diesen Mann, den sie alle verehren. Seinen Geburtstag haben sie ausgiebig gefeiert – am selben Tag, an dem sie zur Wahl der burkinischen Nationalversammlung aufgerufen waren. Dafür konnte sich keiner der Rastamänner erwärmen. „Bob Marley war schon immer mein einziger Kandidat“, meint einer lakonisch, und Souleymane winkt gleich ganz ab: „Politik! Ich halte mich da raus. Die da oben streichen doch die Entwicklungsgelder ein und machen mit uns, was sie wollen.“

Tatsächlich hat der Präsident Burkina Fasos, Blaise Compaoré, dieses Jahr eine geradezu anachronistische Verfassungsänderung durchgesetzt, die seine Machtbefugnisse und Amtszeit erheblich erweitert. Und zu den Parlamentswahlen am 11.Mai traten zwar 14 Parteien an, aber die Regierungspartei gewann 101 von 111 Sitzen. Die Opposition bezweifelte, daß es dabei mit rechten Dingen zugegangen sei. Vier der 101 Mandate wurden wegen Unregelmäßigkeiten annulliert. Da blieb immer noch eine erdrückende Mehrheit.

Die jungen Musiker fühlen sich nicht ernstgenommen von der Regierung. „Letztes Jahr fand in Abidjan (im südlichen Nachbarstaat Elfenbeinküste) ein großes Kulturfestival statt. Burkina Faso hat keinen einzigen Musiker hingeschickt“, empört sich einer. „Als ob es hier keine gäbe! Wir haben uns lächerlich gemacht.“ Der Grund für das Versäumnis: Die Aufforderung zur Bewerbung war über die staatliche Tageszeitung Sidwaya bekanntgegeben worden – die garantiert kein Rastaman anrührt. Dabei hat sich Ouagadougou in den letzten Jahren selbst den ehrgeizigen Titel der „westafrikanischen Kulturhauptstadt“ zugelegt.

Das Filfestival Fespaco und die im jährlichen Wechsel stattfindenden Kulturwochen in Bobo-Dioulasso, Burkinas zweitgrößter Stadt, ziehen tatsächlich immer mehr Touristen an. Diese Festivals gehören zu den wirtschaftlichen Glanzpunkten des Jahres: Die Hotels sind voll bis an die Grenzen ihrer Kapazität, Festival-Aufschläge sind üblich. Da werden übrigens auch die jungen Musiker gerne von offizieller Seite als Kulturschaffende vorgezeigt. Und die verhalten sich während dieser paar Tage im Jahr, an denen Burkina Faso boomt, genau wie die Taxifahrer, Händler und Gastronomen: Sie versuchen, soviel wie möglich herauszuholen.

Souleymane kennt die ausländischen Gäste gut genug, um die richtigen Köder auszuhängen. „Ich habe die Vision, einen Film zu machen – einen Film, der einfach alles sagt“, so leitet er während des Kinofestivals seine Gespräche ein. Wenn er am Ende eine Djembé verkauft oder einen Schüler gewonnen hat, dann ist die Taktik aufgegangen.

Was verdient er an einer Stunde Unterricht? „Verhandlungssache. Neulich hat mir ein Schweizer 4.000 CFA-Francs für eine Stunde gegeben.“ Das sind rund 12 Mark – bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 300 Mark gutes Geld. „Das war cool“, meint Souleymane.

Wie viele Burkiner träumt auch Souleymane davon, daß ihn mal jemand nach Europa einlädt. „Visa Schengen“, das ist allen Rastas geläufig – und auch, wie schwer man eines bekommt. „Die wollen uns nicht haben“, stellt er fest. „Aber Auftritte in Frankreich oder Deutschland wären schon klasse.“ Allerdings wäre Europa für den ständigen Aufenthalt viel zu kalt – nicht nur klimatisch. „Die Leute sind rassistisch. Außerdem hat man mir gesagt, daß sich nicht einmal die Nachbarn grüßen.“

Wenn Souleymane von einem anderem Land träumt, dann denkt er eher an die Vergangenheit, an das Burkina Faso der Ära Thomas Sankara: Der junge Präsident aus den Jahren 1983 bis 1987, der eine neue Gesellschaft aufbauen wollte und dann bei einem Putsch seines Freundes und heutigen Präsidenten Compaoré getötet wurde. Sankara ist vielleicht der einzige, der in der Gunst der Jugendlichen mit Bob Marley konkurrieren kann. Er fuhr mit dem Fahrrad durch die Stadt und war Schiedsrichter bei Fußballspielen. Sankara habe nicht zuerst an sich selbst gedacht, meint Souleymane. Zu seinen Zeiten habe es sich gelohnt zu kämpfen. Aber 1987, als er ermordet wurde, war Souleymane doch erst 12? „Ja, wir waren Kinder. Aber Sankara mochten wir gerne. Manchmal hat er sich verkleidet und uns auf der Straße nach unseren Problemen gefragt. Wir konnten sagen, was uns nicht paßte. Dann sprach er zu uns, erklärte, daß wir für dieses Land kämpfen müßten. Da wollten wir natürlich alle Krieger werden“, schwärmt er.

An dem verklärten Blick auf die „Ära Sankara“ ändert die Regierung Compaoré bislang nichts. Sankara war es schließlich, der der ehemaligen französischen Kolonie Obervolta ihren heutigen Namen gab, auf den die Burkiner so stolz sind: Burkina Faso, das „Land der aufrichtigen Menschen“. Oder, in Souleymanes Weltbild übersetzt: „Love and Peace“.

Träge winken die Straßenkinder, die an einer Tankstelle unweit des noch immer festlich geschmückten Fespaco-Geländes herumlungern, Souleymane zu. Für die Sankara-Vergangenheit sind sie zu jung. Ihr Paradies liegt in einer Tüte Schnüffelstoff. Souleymane winkt das jüngste Mitglied der kleinen Gang, einen etwa 8jährigen Jungen, zu sich auf die andere Straßenseite, kramt ein bißchen Kleingeld hervor und drückt es ihm mit ein paar aufmunternden Worten in die Hand. Mehr hat er nicht anzubieten – und schon gar nicht das einzige, was den Jungen vielleicht von der Straße locken könnte: eine Zukunftsperspektive.

Die hätte Souleymane selbst dringend nötig. Natürlich ist er bislang noch immer „irgendwie zurechtgekommen“. Aber seinem großen Traum von der Musikkarriere, und selbst dem bescheideneren Wunsch nach einem kleinen Haus, das er ganz alleine gebaut hat, kommt er nicht näher. „Irgendwann ist es soweit“, hofft er. „Irgendwann werde ich das nötige Glück haben.“