Ein Ostler, der nicht jammert

Auf dem heute beginnenden CDU-Parteitag in Leipzig soll der Sachse Arnold Vaatz zur neuen christdemokratischen Führungsfigur für den Osten aufgebaut werden  ■ Von Robin Alexander

Der sächsische Umweltminister wirft fünf Mark in den Zigarettenautomaten. Hastig klaubt er die Packung aus dem Schacht, reißt die Plastikfolie auf und steckt sich eine Marlboro an. Keine F6? Arnold Vaatz mag die Zigarette aus dem Osten nicht. Zwischen zwei kurzen Zügen wird der Rauch politisch: „Bei mir entscheidet der Geschmack, nicht die Ideologie!“ Seine Marke wird er in Bonn häufiger finden als in Dresden.

Vaatz kandidiert 1998 zum erstenmal für den Bundestag. Schon seit einem Jahr fährt er häufig nach Bonn. Er sitzt im Bundesvorstand der CDU. Dort schätzt man Leute wie Vaatz: Ostdeutscher, aber ohne den Makel einer Vergangenheit in der Blöckflöten-CDU. Deren Verhältnis zur SED hat Vaatz einmal mit der Beziehung eines Sklaven zu seinem Herrn verglichen. Vaatz war kein Mitglied in der nach der SED größten und einflußreichsten Blockpartei der DDR. Der Sprecher des Dresdner Neuen Forums ist erst 1990 in die CDU eingetreten. Viele Christdemokraten gibt es nicht im Osten mit dieser gefragten Verweigereridentität. Heinz Eggert war so einer, der es bis zum stellvertretenden CDU-Vorsitzenden gebracht hat, bevor er über eine Affäre stolperte. Christoph Bergner aus Sachsen-Anhalt ist so einer, aber zu blaß, um zur großen Ostfigur zu taugen.

Diese Rolle ist Arnold Vaatz zugedacht. Sein Meisterstück dafür lieferte Vaatz vor einem Jahr: Vera Lengsfeld und sechs andere Bürgerrechtler traten zur CDU über. Leise, sensibel und mit langem Atem hatte Vaatz die frustrierte grüne Bundestagsabgeordnete und ihre Leidensgenossen an die CDU herangeführt. Was als gemeinsamer Erfahrungsaustausch in privater Runde begann, endete mit einem propagandistischen Triumph für die Union. Scheinbar bescheiden leugnet Vaatz, die maßgeblichen Fäden gezogen zu haben. Er habe nur einer natürlichen Entwicklung nachgeholfen. „Helmut Kohl hat uns Bürgerrechtler quasi adoptiert.“

Seit diesem Coup ist ihm Peter Hintze, der Generalsekretär der CDU, zu Dank verpflichtet. Auch dessen Vorgänger Volker Rühe schätzt Arnold Vaatz; mit ihm teilt er die Abneigung gegen die Altkader in der Ost-CDU. Vaatz zählt auf die beiden. Und er hofft auf den Kanzler. Daß der die verhaßte DDR-CDU mit Vermögen, Mitgliedern, Zeitungen und Immobilien gern einkassiert hat, blendet Arnold Vaatz aus. Auf Helmut Kohl blickt er ohnehin nur in eine Richtung: nach oben. Seine erste Begegnung mit dem Kanzler beschreibt Vaatz wie andere einen Besuch in Lourdes: „Ich habe Helmut Kohl erfahren.“

Die Nähe des Kanzlers wird Arnold Vaatz jetzt wieder erfahren. Auf dem heute beginnenden CDU-Parteitag in Leipzig soll der Sachse seine erste große Bewährungsprobe für seine Bonner Karriere bestehen. Er leitet das Europa-Forum, eines der drei zentralen Foren, auf denen der Leitantrag „Zukunftschancen“ diskutiert wird. Als Mitglied der Antragskommission war Vaatz auch schon an der Vorbereitung des Parteitages beteiligt. Beides sind Vertrauensbeweise direkt aus dem Kanzleramt.

Die neuen Aufgaben motivieren Vaatz. „Arme, Beine, Kopf – alles wieder leicht“ sagt er, strahlt und schüttelt alle Gliedmaßen. Seit er sich zur Bundestagskandidatur entschloß, atmet der ehemalige Bürgerrechtler wieder freier. „Ich baue mir eine völlig neue politische Existenz auf“, schwärmt er. Der Wechsel fällt Vaatz nach sieben Jahren als Umweltminister in Sachsen leicht: „Ich bin doch nicht in die Politik gegangen, um die Abfallordnung zu erarbeiten!“ In der sächsischen CDU ist er nie heimisch geworden. Über Konservative, die im Sozialismus Verantwortung trugen, redet Vaatz wie über Stalins Kader. Auch die sächsische Regierungsmannschaft war schnell genervt vom erst 35jährigen Leiter der Staatskanzlei, dem keine Reform konsequent genug war. Allein die körperliche Anwesenheit von Vaatz schien viele seiner Parteifreunde im Osten an ihre gern vergessene Anpassung in der DDR zu erinnern. 1992 verbannte Kurt Biedenkopf seinen einstigen Ziehsohn in Sorge um den Frieden in der Partei ins Umweltministerium.

Für eine Teilnahme am System Kohl arbeitet Vaatz auch an seiner Persönlichkeit. Vorsichtiger ist er geworden, er wägt länger ab, was er sagt. Er, der einen Reservedienst bei der NVA verweigerte, nimmt heute an Übungen der Bundeswehr teil. „Ich habe es satt, als angeblicher Pazifist in Anspruch genommen zu werden.“ Vaatz spekuliere auf den Posten eines Staatssekretärs im Verteidigungsministerium, vermuten Dresdner Christdemokraten. Er würde gern ein Experte für Außen- und Sicherheitspolitik werden, sagt Vaatz. Die kommende Osterweiterung der Nato im Blick, verweist Vaatz auf seinen guten Draht zu polnischen und tschechischen Kollegen: „Denen bin ich näher als vielen Wessis.“

Ob Arnold Vaatz in Bonn heimisch und von seinen Parteifreunden akzeptiert wird, ist ungewiß. Wird sich der große Polarisierer, der SPD und Grünen schon mal „den gleichen Politikansatz wie die DDR, nur weniger konsequent“, unterstellt, anpassen können? Vaatz selbst beschreibt sich als Turnierpferd: „Andere springen über Hindernisse, ich zertrete sie mit den Hufen.“ Und Hindernisse findet Vaatz überall: „Ich bin ein Generalist für die allgemeine Luftlage.“

Dabei hat der Generalist nur ein Thema: die DDR. Ob Rede, Diskussion oder Small talk: Der Schlußsatz, der letzte Gedanke gilt immer dem verflossenen Realsozialismus. Kann so einer Mehrheiten in Ostdeutschland finden? Er buhlt nicht um billigen Beifall, sondern ärgert sich über den „larmoyanten Grundton“ in den neuen Ländern. Identifizieren sich die Menschen im Osten mit einem, der sie ermahnt, „wieder den Unterschied zwischen einer erarbeiteten und einer geschenkten Mark zu lernen“? Während andere Politiker aus dem Osten die Solidargemeinschaft DDR wiederentdecken, konstatiert Vaatz: „Die Mauer in den Köpfen verläuft zwischen Ost und Ost.“ Wo andere in der Bundesrepublik ankommen wollen, ist Arnold Vaatz noch lange nicht fertig mit der DDR.