Jospin macht den Weg frei

■ Der Beschäftigungsgipfel war ein politisches Meisterstück

Wenn alles so klappt, wie Frankreichs Premier Lionel Jospin es auf der nationalen Beschäftigungskonferenz entworfen hat, wird der Anbruch des neuen Jahrtausends das Leben in Frankreich entschieden schöner machen: mehr Arbeitsplätze, mehr Freizeit, und nicht einmal die Löhne werden sinken. Derlei gesetzliche Eingriffe in den Arbeitsmarkt hat es nie zuvor gegeben. Im europäischen Kontext kontrastiert die geplante französische 35-Stunden-Woche mit einem deutschen Arbeitszeitgesetz, das immer noch die 48-Stunden-Woche vorsieht, und mit konservativen Regierungen, die den „staatlichen Dirigismus“ der Pariser Jacobiner naserümpfend ablehnen.

Doch derlei Anfechtungen gehen ins Leere. Nicht nur, weil nach 15 Jahren kontinuierlichen Anstiegs der Arbeitslosigkeit das Scheitern sämtlicher anderer Politikversuche offensichtlich ist. Sondern vor allem, weil Jospins Initiative eben nicht der Modernisierung des Arbeitsmarktes im Wege steht. Denn ohne das häßlich klingende Wort „Flexibilisierung“ auch nur einmal zu benutzen, steht genau das im Mittelpunkt der Reform. Jospin schickt jetzt die Sozialpartner aufeinander los, damit sie die Karten neu mischen.

Die vermeintliche 35-Stunden-Woche läßt viele Wege zu: Die Einführung einer Jahres- oder einer Lebensarbeitszeit, die den Einsatz der Arbeitskräfte je nach Arbeitsanfall im Unternehmen möglich macht, ist genauso denkbar wie Nacht- und Wochenendarbeit. Erst 1999 wird ein Gesetz die Einzelheiten festlegen. Sein Inhalt ist vom sozialen Kräfteverhältnis abhängig. Die Patrons werden mit Abwanderung drohen und die Gewerkschaften die Beschäftigten mobilisieren.

Taktisch ist Jospin mit der nationalen Beschäftigungskonferenz ein Meisterstück gelungen, bei dem ihm sowohl die weitgehende Zustimmung der Gewerkschaften als auch das Wutgeheul der Patrons nützlich ist. Inhaltlich hat er den Weg für die Liberalisierung des französischen Arbeitsmarktes eröffnet. Was bei der Reform für die Arbeitslosen herauskommen kann, ist völlig offen. Die rasanten Produktivitätsgewinne der letzten Jahre lassen vermuten, daß eine Arbeitszeitverkürzung von „nur“ zehn Prozent keinen großen Beschäftigungseffekt hat. Selbst Jospin, der im Wahlkampf 350.000 zusätzliche Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft in Aussicht stellte, wagt heute keine Zahlenprognosen mehr. Dorothea Hahn